Meinung Idomeni - Eine Welt auf der Flucht
Der Stand der Humanität lässt sich am Umgang mit den Flüchtlingen ermessen. Sie haben nicht mal mehr eine Heimat, sie sind vogelfrei und allen niederen Instinkten ausgeliefert, derer der Mensch fähig ist.
Das Ergebnis schon einer oberflächlichen Betrachtung ist: Der Stand der Humanität in der Welt ist schlecht.
Es reicht in vielen Ländern noch zur Erstversorgung mit Wasser und Brot. Es reicht auch noch zur blanken Lebensrettung, etwa auf dem Mittelmeer. Es reicht nicht mehr zur dauerhaften Hilfe und Aufnahme und erst recht nicht zu einem empathischen Umgang. Die Flüchtlinge werden hin- und hergeschoben, niemand will sie auf Dauer haben. Refugees not welcome. Kenia will das weltweit größte Lager in Dadaab räumen, Griechenland macht es gerade in Idomeni. Das deutsche Herz für Flüchtlinge war zwar zunächst größer. Doch als der Zuzug im letzten Jahr eine Größenordnung von einem Prozent der Bevölkerung überstieg, war auch hierzulande Schluss. Ein Prozent - das heißt ein einziger Flüchtling in einem Dorf mit 100 Einwohnern. Und schon ging es in einem der reichsten Länder der Erde politisch drunter und drüber als stehe der Weltuntergang bevor.
Natürlich muss sich jede Nation vor Überforderung schützen. Aber so weit ist Europa noch lange nicht, so weit ist keine der wohlhabenden Nationen. Es findet bei ihnen eine enorme gedankliche Verdrängung statt: Man vergisst, dass man selbst genauso betroffen sein könnte, und sei es durch eine Naturkatastrophe. Und gibt deshalb den Verzweifelten selbst die Schuld an ihrer Lage. In Ostdeutschland und Osteuropa, wo viele Bürger vor nicht einmal 27 Jahren selbst noch in ein besseres Leben zu fliehen versuchten, ist diese Verdrängung besonders groß. In Istanbul hat jetzt eine Nothilfekonferenz stattgefunden. Sie war ein erster Anfang. Sie hat gezeigt, dass es eine internationale Verantwortung für die Flüchtlinge gibt, von der sich niemand frei machen kann.
Schuld an der Lage der Flüchtlinge ist nämlich auch die Unfähigkeit der Staatengemeinschaft, Mechanismen und Organisationen zu schaffen, die Konflikte lösen können. Von den Vereinten Nationen bis zu regionalen Bündnissen. Stattdessen liefert man Waffen. Schuld an der Lage ist auch der ökologische und ökonomische Raubbau, der von den Industrienationen in den Entwicklungsländern betrieben oder angetrieben wird. Die jetzigen 60 Millionen Flüchtlinge weltweit sind noch überwiegend Bürgerkriegs- und Armutsflüchtlinge. Die Flüchtlinge des großen Klimawandels werden bald dazukommen. Dann werden viel, viel mehr unterwegs sein. Und sie werden all das CO2 nicht selbst ausgestoßen haben.