Inflation, Deflation — eine heikle Balance

Die Europäische Zentralbank wartet noch ab.

Ein Kommentar von Peter Kurz.

Foto: Young David (DY)

Die Deutschen, so heißt es, fürchten kaum etwas so wie eine Inflation — seit den Erfahrungen in den 1920er Jahren, in denen der Preis für einen Laib Brot innerhalb weniger Monate von 500 Mark auf mehr als fünf Milliarden Mark anstieg. Da gab es 100-Billionen-Mark-Scheine, Erspartes schmolz wie Schnee in der Sonne. Kann da, wie jetzt allenthalben zu hören ist, die gegenteilige Entwicklung tatsächlich ebenso gefährlich sein?

In der Tat ist es so. Das Sinken der Preise bis hin zur Deflation ist nämlich beileibe nicht nur eine feine Sache. Das Szenario eines solchen unguten Wirtschaftsprozesses sieht so aus: Bei konstant sinkenden Preisen rechnen die Verbraucher damit, dass Güter und Dienstleistungen demnächst noch billiger werden. Sie schieben den Kauf daher auf. Die Unternehmen setzen weniger ab, haben aber weiterhin die gleichen Kosten. Sie fahren ihre Produktion zurück, investieren nicht, senken Löhne, entlassen Mitarbeiter, gehen pleite.

Auch für Schuldner — Privatpersonen wie Unternehmen — stellt sich die Sache dramatisch dar. Ihre Schuld bleibt nominal die gleiche, der sinkende Lohn macht aber das Bedienen des Kredits schwieriger. Und dann haben auch die Gläubiger nichts mehr zu lachen, weil ihnen Kreditausfälle drohen. Banken könnten ins Straucheln geraten.

Diese Gefahrenspirale sehen die Geldexperten der Europäischen Zentralbank aber offenbar derzeit nicht. Sie verzichten auf eine weitere Absenkung des ohnehin schon niedrigen Leitzinses. Eine Deflation ließe sich zwar prinzipiell damit bekämpfen, dass die Zentralbank via Zinssenkung mehr Geld in den Markt pumpt — um Investitionen und Konsum anzukurbeln. Doch jedenfalls mit Blick auf die deutsche Wirtschaft bedurfte es eines solchen Schrittes nicht, der die Sparer weiter gequält hätte. Ein großer Anteil der sinkenden Preise fällt nämlich auf die Bereiche Energie und Lebensmittel. Hier kann und wird der Verbraucher, anders als bei langlebigen Wirtschaftsgütern, ohnehin keine Kaufzurückhaltung üben. Allerdings fallen auch die Preise für andere Güter. Nur so lange die Arbeitslosenzahl tendenziell niedrig ist, die Gehälter steigen und die Konsumfreudigkeit bleibt, haben wir kein Problem. Doch das muss nicht so bleiben.