Jetzt ist konstruktive Politik gefragt
Wende in NRW setzt Berliner Koalition unter Zugzwang.
Der Berliner Koalition bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder nutzt sie die unbehagliche Situation in Düsseldorf aus, um enger zusammenzurücken, Geschlossenheit zu zeigen und den Bürgern den Eindruck zu vermitteln, zu welcher politischer Handlungsfähigkeit die schwarz-gelbe Regierung in der Lage ist. Oder sie ergibt sich zankend in ihr Schicksal, das politisch gewiss komplizierter, aber nicht unerträglich wird.
Schon die rot-grüne Koalition hatte die meiste Zeit ohne eigene Bundesratsmehrheit politisch mehr recht als schlecht - aber immerhin - durchgehalten. Die fehlenden Stimmen lassen sich durch die Suche nach politischen Kompromissen beschaffen. Und da der Bundesrat nach der Föderalismusreform ohnehin an Zustimmungskompetenzen verloren hat, ist die politische Zukunft des Berliner Bündnisses nicht grundsätzlich gefährdet, wenn es in NRW zur rot-grünen Minderheitsregierung kommt.
Das Problem ist - um in der Fußball-Sprache zu bleiben - die fehlende Offensivkraft der Berliner Koalitionäre. In der Substanz reicht es einfach nicht aus, den empörenden Umstand an den Pranger zu stellen, dass ausgerechnet die nordrhein-westfälische Linkspartei mit ihrem verklärenden DDR-Bild indirekt am Schalthebel der Macht sitzen wird. Doch die Problematisierung dieses Umstandes, der den Souverän von der Wahl der blutroten Partei ohnehin nicht mehr abhält, reicht allein nicht aus, um das Bündnis aus Union und FDP wieder auf die Beine zu bringen.
Düsseldorf nimmt der Kanzlerin die Möglichkeit, "durchzuregieren". Gesundheitsreform und zeitliche Streckung der Atomenergie-Nutzung sind die wichtigsten Bereiche, in denen sie das zu spüren bekommen wird. Zwei Herzensanliegen der Koalition stehen vor dem Aus.
Kanzlerin Merkel und ihr Vize Westerwelle müssen die Prioritäten ändern. Das klingt abstrakt: Aber wer die Bürger-Befragungen aufmerksam studiert, weiß um die Zukunftsängste in beinahe allen Schichten. Sie haben Sorge wegen der Undurchschaubarkeit staatlicher Milliarden-Bürgschaften und fragen sich, warum das Geld nicht direkt in die Wirtschaft gesteckt und zur Stärkung der Binnennachfrage verwendet wird. Es geht jetzt - mehr denn je - um die ideologiefreie Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen.