Belgien droht zu zerfallen: Verwirrend – aber keine Katastrophe
Ein Kommentar von Martin Vogler
Als sich Jugoslawien atomisierte, waren wir fassungslos. Doch wer hätte damals gedacht, dass sich - wenn auch gewaltfreier - bei unserem Nachbarn Belgien Vergleichbares abspielen könnte, dass kleinstaatlich-nationalistisches Denken siegt?
Doch noch besteht Hoffnung auf ein Fortbestehen des Königreichs. Denn im südlichen, wallonischen Bereich will sowieso kaum einer das Ende. Bei den wirtschaftlich besser gestellten Flamen jedoch wird es darauf ankommen, ob sie in einem Viel-Parteien-Parlament wirklich zu konsequenten Separatisten werden. Bei ihnen sollte man die Hoffnung auf Einsicht nicht aufgeben. Zudem stehen zwei praktische Gründe einer Teilung entgegen: Zu welchem neuen Klein-staat würde die Hauptstadt Brüssel gehören, in der beide Sprachgruppen vertreten sind? Vor allem dürfte die Frage, wie man die 320 Milliarden Staatsschulden aufteilt, schier unlösbar sein. Es klingt zynisch: Aber vielleicht erweist sich ausgerechnet die Verschuldung als Vorteil.
Und wenn es dennoch passiert? Dann wäre die Europäische Union ein wahrer Segen, die für ein friedliches und routiniertes Nebeneinander von Flamen und Wallonen sorgen könnte. Denn dank Schengen-Abkommen müssten keine Schlagbäume errichtet werden, dank Euro bräuchte man kein Geld drucken. Auch müsste keiner seine Arbeit aufgeben, weil er in einem neuen Staat wohnt und im anderen arbeitet. Für den Rest Europas wären zwei Staaten zwar verwirrend, aber keine Katastrophe.
Doch es könnte noch bunter kommen. Schon kursieren Spekulationen, die über das Modell zweier neuer Staaten hinausgehen. Laut einer Umfrage sind zwei Drittel der Franzosen dafür, dass der wallonische Teil Belgiens Frankreich zugeschlagen wird. Sprachbarrieren gäbe es keine und für die Wallonen wäre das wirtschaftlich interessant. Die Flamen hingegen würden voraussichtlich tatsächlich lieber eigenständig bleiben, auch wenn aus den Niederlanden bereits Lockrufe für einen Anschluss zu vernehmen sind.
Besonders abenteuerlich klingen die Aussichten für die knapp 80 000 Deutschsprachigen rund um Eupen und Malmedy, deren Gebiet bis zum Ersten Weltkrieg zu Deutschland gehörte. Verwegen, aber diskutiert: ein Zusammenschluss mit Luxemburg.