Koalition in NRW: Ein Experiment von längerer Dauer
Das Getöse vor 100 Tagen war sehr groß, als erstmals in einem großen deutschen Bundesland eine parlamentarische Minderheit daranging, in einer Koalition zu regieren. Das sei zum Scheitern verurteilt, eine Auflösung des nordrhein-westfälischen Landtags noch im Herbst zu erwarten, Neuwahlen seien schon in Sicht - so lauteten damals viele Prognosen.
Nun ist es Herbst, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist recht unangefochten im Amt, und ihre grüne Partnerin Sylvia Löhrmann geht daran, das Schulsystem umzubauen. Von Unruhe keine Spur, aus dem Experiment ist ein Stück Normalität geworden.
Zwar geben Umfragen bestenfalls aktuelle Stimmungen wieder und sind nicht mit Stimmen gleichzusetzen, doch ist der Trend für Kraft und Löhrmann günstig. Was auch an der Lage der Opposition liegt. Die CDU ist nach der schweren Niederlage im Mai auf dem Weg, sich neu aufzustellen und braucht dafür wohl noch eine geraume Zeit. Und die FDP findet keinen Weg aus dem Stimmungskeller.
Ob CDU und FDP Fundamentalopposition sein oder mitgestalten wollen, ist noch nicht entschieden. Doch eines ist klar: Weder die CDU, noch die FDP oder die Linkspartei, deren Abgeordnete erstmals auf den bequemen Parlamentssesseln Platz genommen haben, wollen derzeit Neuwahlen.
Doch die Bewährungsproben für SPD und Grüne stehen noch aus. Sie müssen spätestens mit dem Etat 2011 nachweisen, dass ihre ganze Regierungskunst nicht darin besteht, neue Schulden anzuhäufen. Was bislang zum Thema Sparen kam, war äußerst schwach und bestenfalls vage. Überhaupt geht vom neuen Finanzminister Walter-Borjans ebenso wenig eine Botschaft aus wie vom neuen Wirtschaftsminister Voigtsberger, der keinerlei Vision für den Standort NRW erkennen lässt und zu Großprojekten wie Datteln wenig bis gar nichts sagt.
Kraft punktet bei den Bürgern als Anpack-Frau mit Herz, die als authentisch wahrgenommen wird. Die größte Gefahr für ihre Glaubwürdigkeit lauert in ihrem Verhältnis zur Linkspartei. Hält sie den Sicherheitsabstand zu der wirren Truppe ein, ist alles gut. Knickt sie ein, erhält ihr Image kräftige Dellen. Doch die ersten 100 Tage hat sie schon einmal geschafft. Rot-Grün richtet sich auf eine längere Dauer ein.