Meinung „Die Deutschen“ gibt es nicht, auch nicht beim Essen

Meinung | Düsseldorf · Die Deutschen achten beim Essen nicht auf Qualität und geben weniger Geld für Lebensmittel aus als andere Europäer. So hieß es lange Zeit. Jetzt heißt es: Die Deutschen essen endlich besser, achten statt auf den billigsten Preis beim Einkauf verstärkt auf Frische, Nachhaltigkeit, Regionalität.

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Natürlich sind solche Pauschalausgaben Unsinn. „Die Deutschen“ gibt es nicht. Schon gar nicht beim Essen.

Hinter den Generalurteilen verbergen sich statistische Unreinheiten. Ein Beispiel: Ja, der durchschnittliche Deutsche gibt weniger Prozent seines Einkommens für Lebensmittel aus als ein Nigerianer, Kroate oder Grieche. Das liegt aber wohl eher daran, dass etwa in Nigeria das Einkommen so viel niedriger ist, dass ein größerer Anteil für die Ernährung aufgewendet werden muss. Um über die Qualität der konsumierten Nahrungsmittel etwas auszusagen, taugt diese Größe erkennbar nicht.

Immerhin: Die Experten scheinen sich einig zu sein, dass „die Deutschen“ endlich bewusster kaufen und essen. Auch hier muss man einschränkend sagen: Es geht mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um den Durchschnittsdeutschen oder auch nur die Mehrheit der Deutschen; die Menschen, die im Discounter zwischen der 99- und der 79-Cent-Salami noch ohne Blick auf Zusatzstoffe oder Herkunft die billigere Variante wählen, werden bleiben. Aber: Die Gruppe derer, die den Preis nicht mehr über alles stellen, wächst. Und das ist ein positiver Trend.

Interessant ist hier in der Tat die Frage, was denn nun Ei und was Huhn ist – die Frage, die Wissenschaftler Ulrich Hamm aufwirft.  Viele Menschen kaufen frischere und bessere, vielleicht sogar Bio-Ware vermutlich, seit sie in jedem Supermarkt erhältlich und überdies erschwinglich ist. Immerhin ist Aldi heute der größte Biohändler in Deutschland, so Hamm. Aber: Gerade Aldi – und dessen Konkurrenz ebenso – hätte sein Angebot in diesem Bereich sicher nicht derart ausgebaut, würde es damit nicht auch seinen Umsatz ausbauen. Sprich: Zumindest eine kritische Masse von Kunden, die Qualität, Frische und Regionalität wollten und so den nötigen Nachfragedruck auf die Anbieter aufbauten, muss bereits vorhanden gewesen sein.

Wenn wir es so herum annehmen, bedeutet das, dass zwar nicht „die Deutschen“, aber doch eine keineswegs marginale Gruppe von Deutschen schon länger besser is(s)t als ihr Ruf. Und dass die Entwicklung nicht Ausdruck eines momentanen Trends zu Alltagsmoral ist, sondern nachhaltig und nicht gleich verpufft, wenn die Wirtschaft mal schwächelt. Und dass sie so viel Zug mitbringen könnte, dass sich der 79-Cent-Salami-Käufer irgendwann auch noch angesteckt fühlt.