Meinung Portugals mächtiger Mann
Die Zeiten, in denen das Euro-Krisenland Portugal als EU-Musterschüler gelobt wurde, sind vorbei. Denn die neue sozialistische Minderheitsregierung, die seit November in Lissabon im Amt ist und von zwei kleinen europaskeptischen Linksparteien gestützt wird, kündigte die bisherige Austeritätspolitik auf und will etliche Wirtschaftsreformen zurückdrehen.
Dies lässt in Brüssel die Alarmglocken schrillen. Weil man fürchtet, dass sich in dem Land, welches 2011 mit 78 Milliarden Euro vor der Pleite gerettet werden musste, das Schuldendrama wieder zuspitzt und sich die Sanierungserfolge der letzten Jahre in Luft auflösen könnten.
Wegen dieser Sorgen ist es für die EU-Kommission eine beruhigende Nachricht, dass nun der konservative Marcelo Rebelo de Sousa zum neuen Präsidenten gekürt wurde. Denn Portugals Staatsoberhaupt hat wichtige Kompetenzen, die ihn zu einem ausgleichenden Faktor in der Politik machen. Ein konservativer Staatspräsident könnte somit auf eine sozialistische Regierung mäßigend wirken. In Portugals semipräsidentieller Demokratie kann der Staatschef Gesetze blockieren oder dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Wenn er die Stabilität und das Wohl der Nation in Gefahr sieht, darf er das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Die Portugiesen bezeichnen dieses Instrument als „Atombombe“.
Der Präsident könnte die Bombe etwa zünden, wenn das sozialistische Minderheitskabinett, das von zwei europakritischen Linksparteien abhängig ist, in einer Sackgasse steckt und der Kampf gegen die Schulden zu scheitern droht. Oder wenn die Vereinbarungen mit den internationalen Gläubigern zur Rückzahlung des Rettungskredites nicht eingehalten werden. Das letzte Mal machte ein portugiesischer Präsident 2004 davon Gebrauch: Damals war es der sozialistische Staatschef Jorge Sampaio, der den skandalbelasteten konservativen Ministerpräsidenten Pedro Santana Lopes absetzte — wegen „Unfähigkeit“.