Meinung Problem ohne Grenzen
Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 zog Angela Merkel die Reißleine. Ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten setzte sie schnell und klar das Aus für die Kernkraftwerke in Deutschland durch.
Spätestens Ende 2022 müssen die letzten Reaktoren hierzulande vom Netz. Eine klare Mehrheit der Bundesbürger steht hinter dieser Entscheidung, aber die Aussicht auf mehr Sicherheit ist eine Illusion. In der EU und in der Schweiz laufen noch mehr als 130 Reaktoren, davon fast die Hälfte in Frankreich. Ausgelegt wurden die Kraftwerke auf eine Betriebsdauer von 30 bis 35 Jahren, jetzt sind sie im Schnitt 32 Jahre alt. Uralte Anlagen stehen vor allem in Belgien, Frankreich und Tschechien, sehr oft nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.
Etwa 50 000 Menschen haben am Sonntag gegen den Betrieb der Kraftwerke Tihange 2 und Doel 3 demonstriert. Ein starkes Signal. Trotzdem spricht nichts dafür, dass die belgische Atomaufsicht die Anlagen abschalten wird. Unsere Nachbarn sind der Überzeugung, dass dort alles in Ordnung ist. Deutsche Experten halten den weiteren Betrieb dagegen angesichts der Sicherheitsmängel für unverantwortlich. Trotz dieser Einschätzung liefert eine Firma aus Lingen in Niedersachsen jene Brennelemente, die die belgischen Pannenreaktoren am Laufen halten. Unfassbar. Angeblich lässt sich das aus rechtlichen Gründen nicht verhindern. Sagt jedenfalls Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Viele Juristen sind da anderer Meinung.
Jenseits dieses Streits legt der Kampf um die belgischen Reaktoren aber das entscheidende Problem bloß: Es kann nicht sein, dass Kernkraftwerke in Europa als nationale Angelegenheit behandelt werden. Wenn es um Kühlschränke, Lampen oder Äpfel geht, fühlt sich die EU verantwortlich. Nur in Sachen Reaktorsicherheit ist Brüssel nicht zuständig. Dabei gibt es kein besseres Beispiel für die Notwendigkeit grenzüberschreitender Normen.