Sterbehilfe: Am Ende geht es um Selbstbestimmung

Die verspätete deutsche Diskussion um die Sterbehilfe

Foto: Sarah Hardenberg

Als das Leben im christlichen Abendland noch auf das Jenseits ausgerichtet war, beteten die Menschen: „Vor einem plötzlichen Tod bewahre uns, o Herr!“ Alle Meinungsumfragen ergeben heute das genaue Gegenteil: Die Mehrheit wünscht sich einen schnellen und schmerzlosen Tod — einen Tod, dem kein langes Sterben vorausgehen soll, keine Lebensverlängerung um jeden Preis.

Im europäischen Vergleich ist Deutschland mit der Debatte spät dran. Schon als der Star-Mediziner Julius Hackethal (1921-1997) einer todkranken 69-jährigen Patientin 1984 einen Becher mit Zyankali ans Bett stellte und ein Video dieser Sterbehilfe im Fernsehen zeigte, war in der Bevölkerung die Zustimmung zu seiner Forderung nach „Mitleidstötungen“ groß. Doch gleichzeitig wog die historische Last der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ aus der Nazi-Zeit damals noch zu schwer für eine sachliche Diskussion.

Die Debatte um die Sterbehilfe, die der Bundestag nun beginnt, wird letztlich eine Debatte um das Selbstbestimmungsrecht sein: Wer, wenn nicht ich, darf am Ende darüber entscheiden, wann Schluss ist? Kirchen? Mediziner? Juristen? Erst am Donnerstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Berücksichtigung des Patienten-Willens deutlich gestärkt.

Im Fall einer Frau aus Sachsen, die ohne Heilungsaussicht seit 2009 im Wachkoma künstlich ernährt wird, müsse das zuständige Landgericht die früher geäußerten Behandlungswünsche der Frau neu ermitteln und zwischen ihrem Selbstbestimmungsrecht und dem Schutz des Lebens abwägen, entschied der BGH. Er hätte sich auch gleich der Forderung Peter Hintzes anschließen können, aus dem Schutz des Lebens dürfe für Ärzte kein Zwang zur Qual werden.

Dass der Theologe und frühere CDU-Generalsekretär gemeinsam mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach für eine liberale Lösung wirbt, ist ein gutes Zeichen. In einer Debatte, in der es um die letzten Dinge geht, dürfen weder fundamentalistische Eiferer noch geschäftstüchtige Angst-Verkäufer den Ton angeben. Und es ist gut, dass der Bundestag sich ein Jahr Zeit gibt, bevor dann über eine Regelung entschieden wird.