Meinung Strengere Abinoten? Ja bitte, das hilft allen

Meinung · Wenn der Philologenverband strengere Bewertungen der Abiturienten fordert, ist das nicht der Ruf einer erzkonservativen Lobbytruppe nach mehr Elite, sondern einfach nur berechtigt. Ein Kommentar.

Ein Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife (Abiturzeugnis) mit der Durchschnittsnote 1,4.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Am Wochenende erzählte meine Tochter von einer Freundin, die vor einem dreiviertel Jahr glänzend das Abitur bestanden hatte und nun bereits im ersten Semester aus dem Studium ausgestiegen sei. Grundschul-Lehrerin wollte sie werden. Aber die Anforderungen der Uni in Mathematik seien einfach zu hoch gewesen. Dabei hatte die junge Frau Mathe-Leistungskurs. Was nach einem Einzelschicksal klingt, ist in Wahrheit gar nicht so selten. Wer heute das Abitur erwirbt, muss noch lange nicht reif sein für ein Studium. Fast alle deutschen Hochschulen haben inzwischen Nachhilfekurse im Angebot, um die Defizite der Abiturienten auszugleichen. Es hapert nicht nur in Mathe, Physik und Chemie. Auch in Deutsch, Englisch oder Geschichte muss nachgebessert werden.

Wenn der Philologenverband strengere Bewertungen der Abiturienten fordert, ist das nicht der Ruf einer erzkonservativen Lobbytruppe nach mehr Elite, sondern einfach nur berechtigt. Tatsächlich lässt sich nicht nachvollziehen, dass in der gymnasialen Oberstufe eine Prüfung als bestanden gilt, wenn die Schülerin oder der Schüler weniger als die Hälfte der Aufgaben gelöst hat. Als Mindestniveau sollte die Hälfte gelten. Seit vielen Jahren steigt die Zahl der Schüler, die das Abitur ablegen, stetig an. Deutlich mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs schaffen den schwierigsten Abschluss, den das deutsche Schulsystem kennt. Und die Noten werden immer besser. Schon jeder vierte Abiturient hat beim Schnitt eine Eins vor dem Komma stehen. Aus dem Gymnasium ist eine neue Form der Volksschule geworden.

Ein Kommentar von Rolf Eckers

Foto: Sergej Lepke

Wer wissen möchte, wie es zur Entwertung des Abiturs kommen konnte, muss nach dem ersten Pisa-Schock im Jahr 2001 fragen. In der ersten großen internationalen Schuluntersuchung schnitt Deutschland katastrophal ab. Die Politik war sich einig: Um den Bildungsnotstand zu beseitigen, müssen mehr Schüler eines Jahrgangs die Hochschulreife schaffen. Ja, dieses Ziel wurde erreicht. Aber der Preis, der dafür gezahlt werden musste, war das sinkende Niveau. Erleichtert wurde diese Minderung der Anforderungen durch Einführung des Zentralabiturs auf Landesebene. Der Mindeststandard wurde zum Maßstab für alle. Die Zahl der erfolgreichen Abiturienten sollte schließlich steigen. Im Ergebnis drängen Jahr für Jahr Hunderttausende an die ohnehin überfüllten Hochschulen. Der Numerus Clausus an besonders gefragten Studienorten wird immer strenger. Gleichzeitig findet jedes dritte Unternehmen in Industrie und Handel nicht mehr genügend Auszubildende. Das Handwerk klagt über einen gravierenden Mangel nach Nachwuchs. Wir sollten uns von der Fixierung auf das Abitur verabschieden. Beruflicher Erfolg hängt nicht davon ab, unbedingt Akademiker zu sein.