Meinung Warum Wegducken nicht länger gilt
Meinung | Berlin · In der UN-Vollversammlung im Juni stimmten 184 von 193 Mitgliedern dafür, Berlin den Sitz im UN-Sicherheitsrat zu geben. Aber so ein Sicherheitsratssitz ist nicht nur eine Ehre. Er ist auch heikel.
Deutschland ist 2019 und 2020 eines von zehn nichtständigen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat. In der UN-Vollversammlung im Juni stimmten 184 von 193 Mitgliedern dafür, Berlin den Sitz in diesem in Sachen Krieg und Frieden entscheidenden Gremium zu geben. Wie schon vier Mal zuvor. Ein Beweis für das hohe Vertrauen, das dem Land weltweit nach wie vor entgegengebracht wird.
Aber so ein Sicherheitsratssitz ist nicht nur eine Ehre. Er ist auch heikel. Das hat sich 2011 gezeigt, als es um den Kampf gegen Libyens Diktator Gaddafi ging. Deutschland enthielt sich der Stimme. In den Sicherheitsrat drängen und dann andere entscheiden - und bomben - lassen, das war keine heroische Leistung. 2003 war es anders. Da verweigerte Kanzler Gerhard Schröder dem US-Präsidenten George W. Bush im Sicherheitsrat die Unterstützung einer Resolution zur Rechtfertigung des Irak-Krieges. Und verbündete sich dafür sogar mit Frankreich und Russland. Der Preis war ein tiefes Zerwürfnis mit den USA.
Wer im Sicherheitsrat sitzt, hat schwierige Entscheidungen zu treffen. Wegducken gilt nicht. Außenminister Heiko Maas ist das klar. Aber auch zum Beispiel seiner Partei, der SPD? Und wie reagiert die Opposition, die jederzeit verführt sein könnte, die hierzulande so beliebte Parole „lieber raushalten“ zu zücken? Berlin hat sich um den Job gedrängt, getreu der Maxime von Union und SPD, dass das Land seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner herausragenden Rolle in der EU auch in Konflikten gerecht werden müsse – eben mit wachsender internationaler Verantwortung. Der Test auf die Glaubwürdigkeit dieser Beteuerungen könnte sehr schnell kommen. Wen unterstützt Berlin zum Beispiel, wenn sich der Konflikt zwischen dem Iran und den USA hochschaukelt? Und womit? Bislang hat Deutschland klar zum Iran-Abkommen gestanden. Wo steht man, wenn Russland und die Ukraine im Asowschen Meer noch härter aneinander geraten?
Zwar ist Deutschland schon viertgrößter UN-Finanzier. Doch bringt die neue Aufgabe neue Verpflichtungen mit sich. Mindestens die Beteiligung an Friedens- oder Überwachungsmissionen wird von jedem Sicherheitsratsmitglied erwartet, wenn das Gremium solche beschließt; für die Ostukraine hat Maas die Bereitschaft dazu schon angedeutet. Und dass ein Sicherheitsratsmitglied, das sich wie Deutschland ganz besonders der Prävention von Konflikten verschrieben hat, die Schatulle bereitwilliger als andere öffnet, ist ebenfalls selbstverständlich.
Die neue Ehre birgt also viel Konfliktstoff. Der Sicherheitsratssitz macht es ebenso wie die anstehende Verstärkung der Bundeswehr dringlich, neu, offen und gesellschaftlich sehr breit über Deutschlands Rolle in der Welt zu debattieren.