Meinung Was jetzt zählt: Einigkeit und Recht und Freiheit

Der Konzertsaal des Pariser „Bataclan“ war am Freitagabend noch gar nicht gestürmt, es kämpften dort noch immer Geiseln um ihr nacktes Leben, als der deutsche Kanzleramtsminister Peter Altmaier bereits twitterte: „Wir weinen um die unschuldigen Toten von Paris.

Foto: Anna Schwartz

Aber wir werden uns niemals beugen dem Hass, dem Fanatismus und der Gewalt!“ Altmaier stand am Freitagabend nur stellvertretend für die erwartbare Welle verzichtbaren Reflex-Geplappers, das in unserer elektrifizierten Empörungs-Kultur zunehmend jede reflektierte Reaktion überlagert.

Die Leichen waren noch nicht gezählt, da nutzten CSU-Politiker den terroristischen Massenmord bereits in schäbigster und billigster Weise zur Hetze gegen Flüchtlinge. Kein Täter war identifiziert, kein Motiv geklärt, da galten die Anschläge bereits uns allen, dem Westen, der gesamten Zivilisation. Kommentatoren jeder Denkungsart ließen ihre Schubladen-Ratschläge vom Stapel. Dass Menschen in ihrer Hilflosigkeit massenhaft Facebook-Profile in solidarisches Rot-Weiß-Blau färben, um wenigstens irgendetwas zu tun, ist verständlich. Von Politikern ist allerdings mehr zu verlangen als das Abspulen ritualisierter Betroffenheit.

Dazu gehört als erstes, nicht zu verschweigen, dass das Massaker im „Bataclan“ eben nicht an irgendeinem beliebigen Ort stattfand, sondern wie bei den Pariser Januar-Morden auf antisemitische Motive hinweist. Nicht nur, weil das Bataclan jahrzehntelang in jüdischem Besitz war. Dort fanden auch Galas zugunsten der israelischen Grenzpolizei statt. Laut französischer Medien gab es seit Jahren islamistisch-terroristische Drohungen gegen das „Bataclan“. Die amerikanische Rockband „Eagles of Death Metal“, die dort am Freitagabend auftrat, spielte auch in Israel und widersetzte sich Boykott-Aufforderungen kultureller Palästina-Lobbyisten. Die Anschläge waren (auch) gezielter Juden-Mord.

Während der bayerische Finanzstaatsminister Markus Söder bei Twitter verkündete „#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen“, führten islamische Migranten-Kinder verirrte deutsche Fußball-Touristen im nächtlichen Paris zu ihren Hotels. Um Deutschland vor dem Terror des IS zu schützen, könnten bayerische Provinzpolitiker statt Ressentiments gegen Flüchtlinge zu schüren, es vielleicht einfach unterlassen, die Finanziers des Terrors zu hofieren. Es wäre viel gewonnen, wenn dem IS der Geldhahn zugedreht würde. Wenn die Banker des IS gejagt und seine saudischen Finanziers enttarnt würden. CSU-Chef Horst Seehofer kennt sich dort bestens aus: Noch im Frühjahr schüttelte er dem saudischen König die Hand und warb für weitere Militärexporte nach Saudi-Arabien.

Terror-Akte wie die Morde vom Freitag treffen Europa ins Mark. Sie lösen Angst und tiefe Verunsicherung aus. Der Horror des willkürlichen Mordens schwebt gefühlt über allen europäischen Städten. Und er ist mit den üblichen Beschwörungen und Ritualen, den Verschärfungen von Sicherheitskontrollen und bewaffneter Präsenz nicht zu vertreiben. Im Krieg gegen die Zivilisation, den die entmenschlichten Terror-Banden des IS führen, hilft dem Westen keine Kriegs-Rhethorik und kein Gerede von Entschlossenheit, wo doch genau diese gemeinsame europäische Entschlossenheit offenkundig fehlt — sowohl in der Sicherheits- als auch in der Flüchtlingspolitik.

Der Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, meldete sich nach den Anschlägen mit der Befürchtung zu Wort, der islamistische Terror könne eine neue Welle der Islamfeindlichkeit in Deutschland entfachen. Es sei an der Zeit, dass Muslime klare Worte gegen den Terror des IS formulierten. Fehl am Platz seien jetzt besänftigende Sätze in der Art, dass der Islam im Grunde eine Religion des Friedens sei.

Mit Verlaub: Es ist nicht an der Zeit, dass Muslime in Deutschland oder anderen westlichen Staaten sich von irgendetwas distanzieren, sondern sich zu etwas bekennen. Von den Vertretern der türkischen und übrigen islamischen Gemeinschaften ist zu erwarten, dass sie endlich einmal statt des Korans das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zur Hand nehmen. Dass sie sich ohne Wenn und Aber oder irgendwelche Belehrungen, was der Koran wozu auch immer sagt, klar, eindeutig und vorbehaltlos zu unserer Verfassung, zu Einigkeit und Recht und Freiheit bekennen.

Nach den Morden schrieb einer der Zeichner von Charlie Hebdo: „Freunde in aller Welt, danke für Eure Gebete für Paris, aber wir brauchen nicht mehr Religion. Wir glauben an Musik! Küsse! Leben! Champagner und Freude!“