Meinung Wer kennt schon das Leid?

Aktive Sterbehilfe ist hierzulande verboten. Ein Arzt ist bereits dann von Strafe bedroht, wenn er einen anderen bei dessen Selbsttötung unterstützt. So hat es der Bundestag 2015 entschieden. Ein Gesetz, das manch einen Verzweifelten allein lässt.

Foto: Sergej Lepke

Und den zum Sterben Entschlossenen zwingt, seinen Plan in der Schweiz zu verwirklichen. Oder einsam eine meist grausame Methode der Selbsttötung zu wählen.

Länder wie Belgien oder die Niederlande gehen mit der erlaubten aktiven Sterbehilfe viel weiter. Während der deutsche Gesetzgeber es für menschenunwürdig erklärt, anderen (geschäftsmäßig) bei deren Freitod zu helfen, sagt man bei unseren Nachbarn: Es ist menschenunwürdig, jemanden gegen seinen Willen weiter leiden zu lassen.

Natürlich ist es besonders heikel, dass es dabei sogar legal sein kann, einem Minderjährigen Sterbehilfe zu leisten. In den Niederlanden ab zwölf Jahren, in Belgien ganz ohne Altersgrenze. Unerträgliches Leiden kennt keine Altersgrenze — so die Begründung.

Auch dürfte es gerade bei Jugendlichen, erst recht bei Kindern schwierig sein festzustellen, ob der Wunsch nach Sterbehilfe davon beeinflusst ist, wie das Kind die Reaktionen seines Umfelds wahrnimmt. Wie es die möglichen Erwartungen seiner Eltern deutet, die durch seine Leiden ja auch aus der Bahn geworfen werden. Und sich dann fragt: Muss ich all dem nicht ein Ende setzen? Eben darum sind die Voraussetzungen in Belgien für einen solchen Fall besonders eng.

Nun urteilen Kritiker aus der Ferne und ohne Kenntnis der mutmaßlichen grauenhaften Details des Einzelfalls, dass hier die Solidarität mit dem Sterbenden aufgekündigt werde. Doch sie müssen sich fragen lassen, ob sie diese Solidarität nicht allzu dogmatisch einfordern. Es gibt Fälle, in denen der Beistand zum Einzelnen gerade dadurch aufgekündigt wird, dass man ihn weiter leiden lässt. Dass man ihm die Tür zum letzten Ausweg versperrt. Dass gut gemeinte Lebensverlängerung eine quälende Sterbeverzögerung sein kann.