Neue Studie Mit Mindestlohn steigt Kaufkraft
Von Martin Röse · Knapp 4200 Männer und Frauen im Kreis Viersen bekommen seit Januar höheren Mindestlohn.
Der Mindestlohn ist seit Jahresbeginn um 35 Cent auf jetzt 9,19 Euro pro Stunde gestiegen – und mit ihm der Verdienst von 4190 Menschen im Kreis Viersen. So viele Beschäftigte arbeiten derzeit zum gesetzlichen Lohn-Minimum. Das teilte jetzt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mit und berief sich auf eine aktuelle Analyse des Pestel-Instituts aus Hannover, das die Auswirkungen der Mindestlohn-Entwicklung regional untersucht hat. Auch die Wirtschaft im Kreis profitiere: Die Kaufkraft wächst laut Studie durch das Mindestlohn-Plus in diesem Jahr um rund eine Million Euro im Kreis Viersen.
„Mal ins Kino oder Essen gehen. Und auch mal etwas Neues für den Haushalt anschaffen – fast jeder Euro, den Mindestlohn-Beschäftigte am Monatsende extra haben, fließt in den Konsum. Und einen Großteil davon geben sie vor Ort aus“, sagt Karim Peters von der NGG-Region Krefeld-Neuss. Denn wer zum untersten Lohn arbeite, könne nichts auf die hohe Kante legen. Für den Gewerkschafter ist der gesetzliche Mindestlohn aber auch nach der aktuellen Erhöhung noch zu niedrig: „Selbst für eine Vollzeitkraft ist es extrem schwer, mit dem Mindestlohn klarzukommen“, sagt Peters. „Gerade dann, wenn auch noch Kinder im Haushalt leben. Und bei steigenden Mieten sowieso.“ Die Gewerkschaft NGG fordert deshalb ein deutlich stärkeres Mindestlohn-Plus. Erst in einer Größenordnung von mehr als zwölf Euro pro Stunde werde die Lohnuntergrenze „langsam armutsfest“. Nach Berechnungen des Pestel-Instituts hätte ein höherer Mindestlohn starke Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft: Würde der gesetzliche Mindestlohn um einen weiteren Euro – auf dann 10,19 Euro – steigen, wäre damit allein im Kreis Viersen ein Anstieg der Kaufkraft um 8,5 Millionen Euro im Jahr verbunden. Denn davon würden dann rund 10 400 Menschen profitieren – neben den bisherigen Mindestlohnempfängern auch die Beschäftigten, die derzeit für einen Stundenlohn arbeiten, der nur knapp oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt.
NGG-Geschäftsführer Peters sieht die Arbeitgeber in der Pflicht: „In Branchen wie dem Gastgewerbe und dem Bäckerhandwerk gehen trotz guter Wirtschaftslage selbst Fachkräfte oft nur mit dem gesetzlichen Minimum nach Hause.“ Messlatte sei aber nicht der Mindestlohn, sondern der Tariflohn.
Ralf Sibben, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerschaft Niederrhein, widerspricht: „Als Arbeitgeberverband für die Unternehmen der Nahrungs- und Genussmittelindustrie am Niederrhein vertreten wir ganz überwiegend Unternehmen, die tarifgebunden sind. In diesen werden weitaus höhere Löhne als der Mindestlohn gezahlt.“
Peters prangert eine zunehmende Tarifflucht als Hauptgrund dafür an, „dass seit Jahren viel zu viele Menschen im Niedriglohnsektor gefangen sind“ und fordert die Unternehmen auf, sich zu Tarifverträgen zu bekennen: „In den Tarifverträgen der NGG sind meist deutlich höhere Löhne, auch in den unteren Lohngruppen, vereinbart. Und wer nach Tarif zahlt, der hat auch zufriedenere Mitarbeiter, die sich im Job engagieren.“ Sibben betont: „Die Beschäftigten erhalten in den Unternehmen garantierte und angemessene Entgelte. Dies funktioniert weil in den Tarifverträgen Arbeitsbedingungen vereinbart sind, die für die tarifgebundenen Unternehmen passen.“ Man dürfe aber auch nicht außer acht lassen, dass in vielen Bereichen der wirtschaftliche Druck auf die Unternehmen sehr hoch sei und es damit dort weniger Bereitschaft gebe, einen Tarifvertrag anzuwenden.
Peters betont, dass von der Einführung des Mindestlohns seit 2015 rund vier Millionen Menschen profitiert haben. Allerdings werde dieser gesetzliche Anspruch viel zu wenig kontrolliert, weil die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nach wie vor nicht ausreichend personell ausgestattet sei. „Es gibt viel zu viele Schlupflöcher: Arbeitszeiten werden nicht korrekt erfasst oder Überstunden nicht bezahlt, um den Mindestlohn massenhaft zu umgehen. Das ist ein Skandal“, kritisiert der Gewerkschafter. Er fordert die Beschäftigten auf, ihre Januar-Lohnabrechnung zu kontrollieren.