Kultur „Das, was jetzt verschwindet, kommt nicht mehr zurück“

Wie erleben Sie gerade die Situation?

Klaus Bittner in seiner Kölner Buchhandlung an der Albertusstraße.

Foto: step/Eppinger

Klaus Bittner: Nachdem Köln wohl bundesweit die einzige Kommune war, die das Bundesinfektionsschutzgesetz und die entsprechende Landesverordnung zur Öffnung des Buchhandels nicht umgesetzt hat, dürfen wir inzwischen wieder das Geschäft für eine Person auf 20 Quadratmetern mit „Click & Meet“ öffnen. Notwendig ist allerdings ein negativer Schnelltest oder ein Impfnachweis. Zuvor haben wir mit der großen Unterstützung des Landesverbandes des Börsenvereins versucht, die Stadt umzustimmen und sogar eine Klage in Erwägung gezogen. Der Bescheid war negativ und wir durften erst jetzt nach dem Beschluss des Krisenstabs am 17. Mai wieder Kunden in den Laden lassen. Das war für mich und viele Kollegen in einer Stadt, die sich selbst als Literaturstadt versteht, absolut unverständlich. Da hat man uns, anders als in allen Städten und Landkreisen in Deutschland, einfach die Systemrelevanz abgesprochen. Zudem war die Kommunikation der Stadt ziemlich chaotisch. Jetzt sind wir glücklich, dass wir zumindest mit „Click & Meet“ wieder öffnen dürfen. 

Ihre Buchhandlung liegt mitten in der Kölner Innenstadt. Was bedeutet das aktuell für Sie?

Bittner: Die Innenstadt ist im Moment fast tot. Da hatten lange nur noch wenige Geschäfte wie Optiker, Blumenläden und Kaffeebuden geöffnet. Das macht die Innenstadt wenig attraktiv. Für uns ist das sehr problematisch, da wir von einer vollen Innenstadt leben. In anderen Stadtteilen ist da deutlich mehr los, wie wir von den Kollegen dort erfahren. Wir haben normalerweise auch Kunden aus ganz NRW und dem Bundesgebiet, auch die fallen im Moment weg. Wir können aber insgesamt noch zufrieden sein, da wir trotz all dieser Widrigkeiten nur ein kleines Umsatzminus verzeichnen. Schwer ist es nur, sich bei diesen sich stetig ändernden Regeln und Verordnungen noch zu motivieren. Ein Kunde hat vor kurzem gefragt, ob wir dem nicht kreative Lösungen entgegensetzen könnten. Doch die aktuelle Corona-Politik lässt einem kaum Spielraum, um kreativ zu sein. 

Wie reagieren die Kunden?

Bittner: Unsere Kunden sind sehr loyal, weshalb sich bei uns der Rückgang beim Umsatz auch in Grenzen hält. Es gibt sehr viele Bestellungen per Telefon oder Mail und der Onlineshop boomt. Interessant ist, dass viele junge Leute bei uns einkaufen, die wir vorher noch nicht gekannt haben. Die bestellen bei uns ganz bewusst, weil sie uns unterstützen möchten. 

Die Kölner Innenstadt hat sich durch die Pandemie deutlich verändert?

Bittner: Ich habe mit meiner Frau vor einiger Zeit einen Spaziergang durch die Innenstadt gemacht. Da sieht es ziemlich düster aus. Viele Läden sind leergeräumt und die Schaufenster wurden mit Papierbahnen zugeklebt. Jedes dritte oder vierte Geschäft ist davon betroffen. Auch mein Nachbar hat seinen Laden geschlossen, weil ihm der Vermieter die Miete erhöht hat. In der Ehrenstraße zahlt man zum Beispiel aktuell Mieten zwischen 200 und 250 Euro pro Quadratmeter. Das kann kein Einzelhändler mehr erwirtschaften. Auch größere Geschäfte wie Douglas schließen dort ihre Filialen. Wenn sich die Mietstruktur in der Innenstadt nicht bald verändert, wird es dort ziemlich trist und leer werden. Das, was jetzt verschwindet, kommt nicht mehr zurück. 

Wie geht es Ihren Mitarbeitern?

Bittner: Alle sind von der Situation etwas mitgenommen und entsprechend müde. Aber das Betriebsklima ist trotzdem gut und wir haben auch viel zu tun. Zwei festangestellte Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, das fülle ich aber wieder zu 100 Prozent auf, weil ich nicht will, dass die Leute darunter leiden müssen. Was uns allen fehlt, ist der Kundenkontakt – das Reden über Bücher und die Chance, die eigene Begeisterung weiterzugeben. 

Welche Bedeutung haben Bücher in der Krise?

Bittner: Wenn das Fernsehprogramm unerträglich ist und man auch die ganzen Netflix-Serien nicht mehr sehen kann, sind Bücher nicht das Einzige, was einem noch für die Freizeit bleibt? Da sind auch wie Klassiker wie Baudelaire wieder gefragt. Dazu kommen Kinderbücher, die in Zeiten von Homeschooling für Kinder und Jugendliche eine große Bedeutung haben. Die Eltern animieren da ihren Nachwuchs zum Lesen. Umso unverständlicher sind die Einschränkungen für den Buchhandel, wie es sie jetzt in Köln gegeben hat. Schwierig wird für uns zudem, Kunden wie Schulen oder Universitätsinstitute mit Literatur zu versorgen, da ist die Zusammenarbeit durch die Pandemie deutlich komplizierter geworden. 

Wie verändert die Pandemie die Kultur?

Bittner: Wir haben als Buchhändler noch das Privileg, weiter arbeiten und Umsätze erwirtschaften zu dürfen. Das haben viele Musiker, Schauspieler und Theatermacher derzeit nicht. Das bringt für viele Betroffene katastrophale Zustände mit sich, da die Einnahmen komplett weggebrochen sind. Man weiß nicht, wie solche Kulturschaffenden überleben sollen – gerade, auch wenn staatliche Hilfen zu spät oder gar nicht kommen. Meist sind diese auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 

Was macht Ihnen derzeit Sorgen und was Hoffnung?

Bittner: Wir hatten nach dem Ende des ersten Lockdowns tolle Umsätze. Die Leute waren froh und glücklich, sich wieder frei bewegen und wieder bei uns in den Bücherregalen stöbern zu können. Darauf hoffen wir jetzt natürlich auch. Man weiß aber nicht, ob alles wieder so kommen wird und ob die Leute überhaupt noch genügend Geld haben, um Bücher kaufen zu können. Sorgen macht mir, das man als Einzelhändler so langsam ausblutet und die Motivation zunehmend fehlt. Urlaub ist bei mir erst im Oktober wieder drin. Bis dahin helfen Lesen und Wandern in der Umgebung. Außerdem kann ich nach der zweiten Impfung nach langer Zeit endlich wieder meine Enkel sehen. Das bringt einen neuen Motivationsschub mit sich. 

Haben Sie einen Buchtipp für diese schwierige Zeit?

Bittner: Der beste Roman, der in diesem Jahr erschienen ist, ist für mich „Eurotrash“ von Christian Kracht, der als Autor über eine so große Könnerschaft verfügt. Das Buch entwickelt vor allem am Anfang einen regelrechten Sog. Es ist großartig, was sich da unter der offensichtlichen ersten Erzählebene entwickelt und wie der Autor die Charaktere schildert. Höchst unterhaltsam und vor allem sehr sehr amüsant.