Frieda & Richard: Ausflug in die Vogelfreiheit
Ein Amselpärchen und seine Brut
Burscheid. Kaum dreht man sich um, sind die Kinder schon aus dem Haus. Diese Klage melancholiegetränkter Eltern werden Frieda und Richard kaum nachvollziehen können. Sie durchlaufen ähnliche Prozesse im Turbotempo.
Am Freitag, kurz vor dem Aufbruch zu einem Ausflugswochenende, hatte uns schon die Ahnung beschlichen, möglicherweise könnten die Nachwuchsamseln unserem Beispiel allzu bald Folge leisten. Bei der Rückkehr am Sonntagabend war das Nest dann in der Tat: leer.
Wer in menschlichen Zeiträumen denkt, ist angesichts dieser Entwicklungsgeschwindigkeit doch einigermaßen perplex. Am Freitagmorgen hatte Fips, der Älteste, schon immer wieder keck auf dem Rand des Nestes gehockt, sozusagen absprungbereit. Auch das Aufplustern seiner Geschwister machte mehr und mehr den Eindruck zielorientierter Trockenübungen. Dabei lag zu dem Zeitpunkt ihre Geburt noch keine zwei Wochen zurück. Womit einmal mehr bewiesen wäre: Der Freiheitsdrang rangiert noch über der Nestwärme. Das gilt für Mensch wie Amsel — und ist im Kern ja auch ein beruhigender Gedanke.
Was nicht heißt, dass das Loslassen immer leichtfiele. Zumindest kann ich da für meine Familie sprechen. Wie Frieda und Richard das Ganze sehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Meine Frau jedenfalls hat erst einmal alles stehen und liegen lassen und ist zu einer groß angelegten Suchaktion in den Garten aufgebrochen. Ich konnte noch gerade verhindern, dass auch THW und Feuerwehr eingeschaltet wurden und die Polizei mit Hubschrauber und Nachtsichtgeräten anrücken musste.
Sowohl die Amseleltern als auch zumindest eines der Jungen mit ihren inzwischen leicht provokativen Punkfrisuren konnten Gott sei Dank trotz der anbrechenden Dämmerung noch entdeckt werden. Am Montag folgte der Rest. Insofern wurde der Trennungsschmerz durch die Erleichtung gelindert, dass die gesamte Vogelfamilie wohlauf ist und zufrieden irgendwo im Dickicht hockt.
Denn so freiheitsliebend die Jungvögel auch sein mögen, ihre Flugkünste nach dem Absprung von der Nestkante entsprechen noch nicht ganz ihrem pubertären Größenwahn. Ein, zwei Wochen brauchen sie noch bis zur völligen Autonomie eines Selbstversorgers. So lange sind sie dann doch froh, wenn Mama und Papa ein bisschen was zu Futtern vorbeibringen und nach dem Rechten sehen.
Aber angesichts der Heerscharen von Auszubildenden und Studenten, die der elterlichen Küche und Waschmaschine immer wieder den Vorzug vor der großen weiten Welt geben, sollten wir uns darüber nicht erheben. Ich bin im Kern jedenfalls ganz froh, dass sich der Freiheitsdrang unseres sechsjährigen Sohnes noch im Rahmen hält und er vorerst weiter Abend für Abend ohne größere Diskussionen im vertrauten Kinderbett einschläft. Ich weiß auch nicht, ob er sich auf einem Ast da draußen wirklich wohlfühlen würde.