Leverkusen Auf einer Wellenlänge mit den Wörtern
In der Ausstellung „Theoretical Beach“ im Museum Morsbroich übersetzt der Kubaner Diango Hernández Sprache in Bilder — und Biografie in Kunst.
Leverkusen. Der erste Eindruck ist ein gewaltiger — und doch von betörender Leichtigkeit. „Hurricanes“ heißt die Installation des kubanischen Künstlers Diango Hernández, der man im zentral gelegenen Ausstellungsraum des Museums Morsbroich begegnet. Sieben schwebende Metallstangen zeichnen den geografischen Verlauf von sieben tropischen Wirbelstürmen zwischen 1955 und 1995 nach. Die Stürme trugen alle einst weibliche Namen (Flora, Camille, Marylin), grazil wie ihre heutige künstlerische Umsetzung. Die Stangen, ineinander verwoben, bilden selbst wieder eine Art optischen Wirbelsturm. Und das Leichte, Spielerische der Installation lässt fast vergessen, welche zerstörerische Wucht der Natur ihr die Idee gab.
So ist das immer wieder in der Ausstellung „Theoretical Beach“ (theoretischer Strand), die am Sonntag im Museum Morsbroich eröffnet wurde und dort jetzt bis zum 28. August zu sehen ist. Das Biografische, das Gesellschaftspolitische, die Risse und Brüche im Familienleben und im Wandel zwischen den Kulturen, kurz: alles, was das Dasein erschweren kann, gewinnt unter den Händen des mittlerweile in Düsseldorf beheimaten Kubaners etwas bewegend Luftiges, ohne dabei an Intensität zu verlieren. Eher ist es umgekehrt: Gerade weil Bedeutungen nicht eingetrichtert, sondern nur angeboten werden, lässt man sich umso bereitwilliger auf sie ein.
Vielleicht ist diese Art der Weltdeutung nur möglich, wenn man selbst als Kind Eintrichterung zur Genüge erlebt hat. Fidel Castro und seine stundenlangen Reden waren in Kindheit und Jugend von Diango Hernández allgegenwärtig. Während der Vater früh dem Freiheitsruf nach Florida folgte, blieb die revolutionsbegeisterte Mutter zurück in Kuba — und mit ihr der Sohn. Heute hat dieser seine eigene Form gefunden, den endlosen Redestrom in Darstellung umzusetzen: Im 1. Obergeschoss sind die Wände ganzer Zimmerfluchten mit Wellen gestaltet.
Jeder Wellenkamm ein Buchstabe; wo ein Wort endet, gibt es einen kleinen Zwischenraum; rote Wellen markieren Signalwörter der Rede. So chiffriert, füllt Castros Wörterschwall die Räume und dominiert sie doch nicht bis ins Letzte. Wie Zwischenrufe des freien, individuellen Denkens wirken die gegenübergestellten Wellenbilder, die diesmal einen Briefwechsel zwischen Vater und Mutter wiedergeben, den beiden Polen in Hernández’ Leben: so nah und doch Welten entfernt, so vertraut und doch ganz fremd.
In einem kleinen Seitenraum im Erdgeschoss finden sich Kunstgegenstände, die allesamt nicht vom Künstler selbst stammen, sondern aus seiner kubanischen Heimat. Stück für Stück hat er sie einzeln nach Deutschland geholt, der Koffer für den Transport ist gleich mit ausgestellt. Sie erzählen davon, was eine Identität ausmacht, was unverzichtbar ist auch in der Fremde, in dem Land, dessen Sprache er auch nach 13 Jahren noch nicht beherrscht.
Am anderen Ende des Ganges ist von Erinnerungsarbeit noch einmal auf andere Weise die Rede: Wenn Hernández das Fenster seiner Düsseldorfer Wohnung in Originalgröße nachgebildet hat und daneben auf dem Boden den verkleinerten Grundriss seiner Wohnung in Havanna. Kleiner, weil mit der Zeit das Zurückgelassene weniger Gewicht, weniger Größe hat als die Gegenwart.
Theoretical Beach — der Strand von Diango Hernández ist ein Zwischenraum: ein Ort, an dem man nicht mehr schwimmt, aber auch nicht wirklich festen Boden unter den Füßen hat. Sinnfälliger hat man die sehnsuchtsgetriebene Suche nach Identität und Individualität lange nicht gesehen.
Bis auf die „Hurricanes“, die schon in Mailand zu sehen waren und auch als Sinnbild für das Verhältnis zwischen Hernández und seiner Mutter verstanden werden können, sind alle Arbeiten für die Ausstellung in Leverkusen entstanden. Dem Museum ist dabei im Zusammenspiel von Künstler und Kuratorin Stefanie Kreuzer ein so stimmiger wie beglückender Gesamtwurf gelungen.
Dessen vielfältige Eindrücke nachklingen zu lassen, laden an drei Endpunkten Sandbänke ein. Ja, sie sind Teil des Ganzen, aber man darf sich wirklich setzen — und so zumindest für den Moment auch eigene Spuren in dem Kunstwerk des Lebens hinterlassen.