Heinrich Philipp Becker: Wir sind der Marktführer in der rheinischen Gastronomie und diese hat seit November 2020 geschlossen. Das betrifft 50 Prozent unseres Geschäfts. Prinzipiell ist es schwer, Prognosen zu stellen, wir müssen auf Sicht fahren. Nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 hätte niemand gedacht, dass im November ein zweiter kommen würde. Die Wirte hatten sich damals darauf vorbereitet, selbst im Winter Außengastronomie möglich zu machen. Danach gab es die Aussicht, dass spätestens nach Ostern alles vorbei ist, und jetzt hat die britische Mutante alle Hoffnung auf ein baldiges Wiederbeleben der Gastronomie zunichtegemacht. So hangelt man sich von Termin zu Termin und von Mutante zu Mutante. Unsere Aufgabe ist es jetzt, weiter den engen Kontakt zu unseren Kunden zu halten und Hilfestellungen zu leisten. Inzwischen ist bei vielen Gastronomen die staatliche Hilfe angekommen und die finanzielle Situation hat sich dadurch etwas entspannt. Allerdings fehlt auch hier die Perspektive für eine gesamte Branche.
Wirtschaft „Mit Innovationen durch die Krise“
Wie erleben Sie gerade die Situation im Lockdown?
Wie sieht es beim Gaffel am Dom aus?
Becker: Es schmerzt, wenn man jetzt in das leere Brauhaus blickt. Normalerweise haben wir eine Million Gäste pro Jahr. Aktuell laufen bei uns noch Renovierungsmaßnahmen. Wir bereiten uns darauf vor, eine Corona-konforme Gastronomie nach höchsten Maßstäben anbieten zu können. Alles wird an seinem Platz und bereit sein, wenn es wieder losgeht. Hoffnung macht mir, dass es bei den Menschen einen großen Nachholbedarf gibt. Gerade in Köln mit seiner Brauhaus- und Kneipenkultur gehört die Geselligkeit dazu und wird aktuell schmerzlich vermisst. So ist unsere Domstube für den November und den Dezember schon komplett aus gebucht – die Leute wollen endlich wieder feiern.
Wie wird sich die Gastronomieszene in Köln verändern?
Becker: Die Szene wird einen Konzentrationsprozess durchlaufen und nicht alle Betriebe werden durchhalten können. In welchem Umfang das passiert, ist derzeit noch unklar. Aber wenn Flächen in der Gastronomie frei werden, bekommen gleichzeitig Innovationen mehr Platz. Das gilt für junge, zeitgemäße Konzepte und eine neue Gastrokultur nach Corona. Wir stellen ebenfalls fest, dass die Veedelsgastronomie gestärkt wird. Die Zeit der Öffnung im Sommer hat gezeigt, dass die Menschen mehr in ihrem Stadtteil ausgehen, als dies bislang der Fall war. Dass es den entsprechenden Bedarf nach Restaurants, Cafés, Kneipen, Klubs und Brauhäusern auch in der Innenstadt geben wird, da bin ich mir sicher. Die Millionen an Touristen werden nach der Pandemie nach Köln zurückkehren.
Wie werden sie mit Auflagen wie negativen Corona-Tests und dem Impfnachweis umgehen?
Becker: Wir unterstützen den Kampf gegen die Pandemie, bei dem Impfungen und Tests sehr wichtig sind. Wir haben uns schon bei der Nachverfolgung der Kontaktdaten sehr engagiert und werden das auch bei den neuen Regeln tun. Wir stehen ebenfalls im engen Kontakt mit der Stadt, um technische Lösungen und deren Umsetzung breitflächig voranzutreiben. Bei den Maßnahmen werden wir auch unsere Partner in der Gastronomie entsprechend beraten und unterstützen, um konstruktive Ergebnisse gemeinsam zu erarbeiten. Wir sind als Brauerei nur dann erfolgreich, wenn auch die Gastronomen Erfolg haben.
Wie fällt die Bilanz der Öffnungen im Sommer 2020 aus?
Becker: Die Objekte, die über eine große Außengastronomie verfügen konnten, waren im Vorteil. Wir hatten einen guten Sommer. Es gab immer wieder Wellen, die von den aktuellen Infektionszahlen abhingen. Waren die Zahlen hoch, haben sich die Gäste eher zurückgehalten. Was uns im Gaffel am Dom gefehlt hat, waren die Veranstaltungen wie etwa die Mitsingkonzerte. Eine sehr positive Bilanz gab es bei unserem neuen Produkt Gaffel Wiess, das zuerst im Fass angeboten wurde und stark nachgefragt war.
Sie haben gerade Gaffel Lemon als Biermischgetränk eingeführt. Wie wichtig sind Innovationen in der Krise?
Becker: Als Apple in der Krise war, haben sie den iPod in den Markt eingeführt. Was daraus entstanden ist, dürfte bekannt sein. Bei uns war es nach der Finanzkrise die Fassbrause, die einen sensationellen Erfolg hatte. Das haben wir zuletzt im Sommer auch beim Gaffel Wiess erlebt, das wir in diesem Jahr nun als Flaschenbier für zu Hause eingeführt haben. Auch hier ist die Nachfrage sensationell. Wir arbeiten stetig an Innovationen, das ist Teil der Gaffel-DNA. Darüber hinaus ermöglichen kurze Entscheidungswege, auch auf Krisensituationen besser und flexibler zu reagieren.
In Köln gibt es eine lange Kölsch-Tradition. Wie schwer ist es da, neue Produkte auf den Markt zu bringen?
Becker: Tradition und Innovation schließen sich nicht aus, sondern können aufeinander aufbauen, sich einander ergänzen. Denn Tradition schafft den Nährboden für Vertrauen und Verlässlichkeit und ist ein starkes Fundament, auf dem unsere neuen Produkte stehen. Man muss immer das Ohr am Markt haben, um neue Trends und Konsumentenwünsche rechtzeitig zu erkennen. Wir haben ein sehr junges und kreatives Team, das Themen sehr schnell in neue Produkte umsetzen kann. Das ist unser klarer Vorteil gegenüber großen Konzernen, die unsere Fassbrause zum Beispiel später selbst kopiert haben. Mit unserer modernen Brauereianlage haben wird die Infrastruktur für Innovationen geschaffen. Das gilt auch für unsere Versuchsbrauerei, in der unsere Braumeister ihre Ideen ausprobieren können. Dazu gehörte zuletzt unser Fastenbier, das wir in einer kleinen limitierten Auflage gebraut hatten und das binnen kürzester Zeit ausverkauft war. Wichtig ist das perfekte Zusammenspiel von Abteilungen wie der Technik, dem Vertrieb und dem Marketing. So werden wir als mittelständische Familienbrauerei zum Reagenzglas für den gesamten Markt und nehmen eine Vorreiterrolle ein.
Wie wichtig sind jetzt das Wiess und das Gaffel Lemon in der aktuellen Situation?
Becker: Das Wiess war schon im vergangenen Sommer ein positiver Impuls. Jetzt geht es einerseits darum, mit den neuen Produkten nach innen in der Brauerei eine Aufbruchstimmung zu schaffen, die Energien freisetzt. Nach außen, beim Kunden, zeigen wir mit dem Lemon und dem Wiess, wie lebendig und zeitgemäß wir als Marke Gaffel sind. Inzwischen gehört das Wiess als Flaschenbier schon fast zum Stadtbild. Das tut der Brauerseele wirklich gut.