Sechs Monate Bündnis Ein nüchternes Bündnis mit enormer Strahlkraft

Analyse | Düsseldorf · Analyse CDU und Grüne bilden seit fast einem halben Jahr ein Bündnis im Stadtrat. Die neue große Koalition bietet eine große Chance für die Stadt – allerdings zeigt sich schon, an welchen Stellen es schwierig werden wird.

Nach dem Lockdown bekommen sich die Bündnispartner wieder häufiger zu Gesicht: Norbert Czerwinski (v.l.), Rolf Tups und Andreas Hartnigk.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Sogar für das Gendersternchen haben CDU und Grüne einen Kompromiss gefunden. Die Grünen schätzen Formulierungen mit dem Stern, die CDU lehnt ihn ab. Also hat man zwei Versionen des Bündnisvertrags geschrieben – eine mit, eine ohne. Und bei Anträgen im Stadtrat gilt: Der Partner, der formuliert, darf wählen. Die CDU unterzeichnet also Grünen-Anträge mit Sternchen, die Grünen unterschreiben die von der CDU, auch wenn man dort lieber männliche und weibliche Version ausschreibt.

So in etwa läuft es bislang in vielen Fragen im schwarz-grünen Bündnis. Düsseldorfs neuer großer Koalition – die Grünen lagen erstmals vor der SPD – fehlt es an der ideologischen Aufbruchstimmung, die 2014 herrschte, als SPD und Grüne die lange CDU-Dominanz im Rathaus beendeten und sich im Dreierbündnis mit der FDP am Beginn einer neuen Ära wähnten. Jetzt wird Düsseldorf von einer nüchternen, sachlichen Allianz regiert. Die Partner bekennen sich zu Meinungsverschiedenheiten, es überwiegt aber die Hoffnung, zumindest eine Reihe der jeweiligen Ziele durchzusetzen. Bekommen wir unseres, bekommt ihr eures.

Start mit wenig Öffentlichkeit wegen des Lockdowns

Bald ist es schon sechs Monate her, dass die beiden Wahlgewinner ihre Kooperation besiegelt haben. Es waren schwierige, historische Monate, in denen die Kommunalpolitik wegen des Lockdowns teilweise auf ein Mindestmaß beschränkt war. Noch nie startete eine Ratsbündnis mit so wenig Öffentlichkeit, selbst die Mitglieder bekamen sich nur bei Videoschalten zu Gesicht. Die große Chance der großen Kooperation ist dennoch bereits spürbar – und auch die Herausforderungen.

Das neue Bündnis hat eine enorme Strahlkraft in die Stadtgesellschaft. Wenn sich CDU und Grüne einig sind, haben sie so viel unterschiedliches Düsseldorf hinter sich, wie es die Ampel nie geschafft hat. Schwarz-Grün spricht die Innenstadtbewohner und die dörflichen Ränder an, die Lastenradfahrer und die SUV-Besitzer, die Progressiven und jene, die zu schnellen Wandel skeptisch sehen. Für die Megathemen Coronabewältigung und Klimaschutz ist das eine starke Basis. So lange den Kooperationspartnern ein Ausgleich gelingt, wird die Opposition kaum dazwischenkommen.

Stephan Keller ist der
Dreh- und Angelpunkt

Einer soll ein Ganzes aus den beiden Teilen machen: Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU). Viel stärker als die Ampel ist diese Stadtregierung auf die Person an der Spitze zugeschnitten. Keller arbeitete schon im Wahlkampf auf ein Bündnis mit den Grünen hin und ist nun Dreh- und Angelpunkt – anders als Vorgänger Thomas Geisel (SPD), der Wert auf seine Unabhängigkeit legte.

Bis jetzt geht dieser Plan auf. Die Grünen loben Kellers Bemühen um Kompromisse, in der Öffentlichkeit findet der Stadtchef einen Ton, in dem sich beide Partner und ihre Anhänger wiederfinden können. Selbst seine Pläne für eine härtere Gangart in der Ordnungspolitik formuliert er so, dass es die Grünen nicht verschreckt. Wie belastbar das Bündnis ist, wird sich aber erst noch zeigen. Bei den Grünen ist die Sorge spürbar, am Ende doch wieder viel gewollt und wenig bekommen zu haben. Am Ende der Ära Geisel war die Ernüchterung groß. Mit beträchtlichem Ehrgeiz betreiben die Grünen ihren Machtausbau, das Rekordergebnis brachte ihnen Dezernatsposten in den Herzensthemen Verkehr und Kultur und viele Pöstchen für Getreue. Die Fraktion wirkt darüber hinaus bemüht, noch jeden Halbsatz auf Seite 217 auszudiskutieren, um der Verwaltung eindeutige Vorgaben zu machen.

So viel Pedanterie lässt manchen bei der CDU schon seufzen. Die CDU-Fraktion sieht ihre Rolle bislang eher darin, Keller zuzuarbeiten – und freut sich, wieder an den wichtigen Schaltstellen zurück zu sein. Sechs Jahre Ampel waren aus Sicht des selbstbewussten Kreisverbands immer nur ein Betriebsunfall in der eigenen Erfolgsgeschichte seit OB Joachim Erwin. Mit großem Selbstverständnis hat die Union das Rathaus wieder übernommen.

Es gibt schon erste Anzeichen, wo es zwischen den Partnern kriseln könnte. Eine Dauerbaustelle wird sein, dass zwei unterschiedliche politische Kulturen aufeinandergetroffen sind. Die CDU-Vertreter wirken dabei bislang unbekümmerter. Sie wissen, wie schwer sich die Union zuletzt getan hat, die Großstadtbewohner anzusprechen – da lässt sich von den Grünen viel lernen. Dort tun sich viele schwerer mit den neuen politischen Freunden. Bei aller Bürgerlichkeit sehen sich die Grünen immer noch als alternative Bewegungspartei. Als OB Keller kürzlich strenge Regeln für E-Scooter vorstellte, entfuhr es der grünen Bezirksbürgermeisterin Annette Klinke, Düsseldorf dürfe bloß nicht zur „Spießerstadt“ werden. Und Spießertum, das wollen sich die Grünen nun wirklich nicht nachsagen lassen.

Das Thema Verkehr könnte
zur Bewährungsprobe werden

Eine echte Bewährungsprobe wird dort bevorstehen, wo das Leben-und-leben-lassen nicht mehr möglich ist. Das gilt vor allem für den Klimaschutz, und dabei vor allem für den Verkehr, jenen Bereich, in dem die Bereitschaft zur Veränderung besonders wenig ausgeprägt ist. Den Grünen sitzen Verkehrswende-Aktivisten, Umweltverbände und der linke Teil der Opposition im Nacken, die besser heute als morgen eine Abkehr vom Auto sehen wollen. Das ist mit der CDU nicht zu machen, dort betont man den Ausgleich der Interessen. Wie soll das zusammengehen? Wenn sich bald zeigen sollte, dass Düsseldorf seine ehrgeizigen Klimaziele nicht packt – und danach sieht es aus – muss das Bündnis Farbe bekennen.

Das höfliche Duo hat bislang noch ein viel heikleres Thema ausgespart: das Geld. Schwarz-Grün hat Düsseldorf wegen der dramatischen Folgen der Pandemie in eine hohe Neuverschuldung geschickt und es sich dennoch nicht nehmen lassen, etliche Stellen zu schaffen und Geld für Wunschprojekte aufzusatteln.

So wird es nicht weitergehen können. Die Landeshauptstadt Düsseldorf muss sparen, die Zahlen sind dramatisch. Dabei wird sich zeigen, wie groß die Gemeinsamkeiten wirklich sind – und ob man aus Rücksicht auf das harmonische Miteinander nicht doch zu viele Streitfragen ausgeklammert hat.