Überblick Neue Regeln für Astrazeneca-Impfstoff: Was wir wissen – und was nicht

Berlin · Erst sollte Astrazeneca nur an Menschen verimpft werden, die jünger als 65 Jahre sind. Jetzt sollen gerade die den Impfstoff nicht mehr bekommen. Und wie geht es weiter, wenn die Erstimpfung mit dem Impfstoff schon passiert ist? Fragen und Antworten zum Thema.

Menschen, die jünger als 60 sind, sollen keine Astrazeneca-Impfung mehr bekommen.

Foto: dpa/Nicolas Armer

Der Impfstoff von Astrazeneca hat in Deutschland keinen leichten Stand: Erst wird aufgrund nicht ausreichender Datenmengen bei Älteren eine Impfung nur für Jüngere empfohlen, dann kommt nach Verdachtsfällen mit sehr seltenen Nebenwirkungen ein vorübergehender Impfstopp für Jüngere, der kurz danach wieder aufgehoben wird. Nun soll das Vakzin wegen dieser Verdachtsfälle hauptsächlich doch nur noch an Menschen ab 60 verimpft werden. Wie geht es jetzt mit den Impfungen weiter?

Wer darf den Astrazeneca-Impfstoff jetzt noch bekommen?

Ab Mittwoch sollen in Deutschland nur noch Menschen über 60 Jahren uneingeschränkt das Präparat gespritzt bekommen. Das beschlossen die Gesundheitsminister von Bund und Ländern am Dienstagabend. Zuvor hatte die Ständige Impfkommission (Stiko) eine entsprechende neue Altersbeschränkung für Astrazeneca empfohlen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte an alle 60-Jährigen, das Impfangebot auch wahrzunehmen. Der Impfstoff sei sehr wirksam, gerade auch bei Älteren. Wenn Menschen unter 60 sich für Astrazeneca entscheiden, sollen diese Impfungen grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärzte erfolgen. Die Hausärzte müssen sich dabei aber weiterhin an die Impfreihenfolge halten, erklärte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Mittwoch.

Was ist mit Menschen unter 60, die schon eine Erstimpfung mit Astrazeneca bekommen haben?

Zur Zweitimpfung von Menschen, die bereits die erste Dosis Astrazeneca erhalten haben, will die Stiko bis Ende April eine Empfehlung abgeben. Menschen unter 60, die schon die erste Dosis Astrazeneca erhielten, könnten davor aber bereits die Zweitimpfung von Astrazeneca bekommen - nach Rücksprache mit dem Arzt. Über 60-Jährige können auch die zweite Dosis von Astrazeneca bekommen, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium.

Da die Astra-Impfung in Deutschland im Februar begonnen hat und zwölf Wochen Abstand zur zweiten Dosis empfohlen werden, steht für die meisten der zweite Piks erst ab Mai im Kalender. Die Stiko will vorher eine Stellungnahme zur Zweitimpfung vorlegen, auch ob es eventuell möglich ist, für die Zweitimpfung ein anderes Präparat zu verwenden.

Wäre das denn theoretisch möglich?

Es gibt schon länger Überlegungen, für einen besseren Schutz etwa gegen neue Virusvarianten verschiedene Impfstoffe zu kombinieren. Also zum Beispiel auf eine erste Dosis Astrazeneca eine zweite von Biontech/Pfizer zu spritzen. „Rein immunologisch ist das unproblematisch, denn sie beruhen letztlich auf dem gleichen Impfantigen“, hatte der Erlanger Infektionsimmunologe Christian Bogdan als Mitglied der Stiko gesagt.

Die Wirksamkeit von Kombinationen werde derzeit in Studien untersucht. Britische Forscher zum Beispiel testen seit Anfang Februar in einer klinischen Studie die Impfstoff-Wirksamkeit bei der Kombination von Biontech und Astrazeneca in unterschiedlicher Abfolge als erste und zweite Dosis.

Was bedeutet das für die Corona-Impfungen in NRW?

Ab Karsamstag können Menschen ab 60 Jahren Termine für Impfungen mit Astrazeneca buchen. Das kündigte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Mittwoch in Düsseldorf an. Über Ostern werde in den 53 Impfzentren mit zusätzlichem Personal und zusätzlichen Öffnungszeiten geimpft, sagte Laumann. Wer sich anmelde, müsse aber wissen, dass mit Astrazeneca geimpft werde, Wer das nicht wolle, müsse sich gar nicht erst melden. Zum Samstag erwarte NRW eine große Lieferung mit 380 000 Impfdosen, sagte Laumann. Jeder, der schon eine erste Impfung mit Astrazeneca bekommen habe, müsse sich keine Sorgen um die Zweitimpfung machen. Bis die in der zweiten Mai-Woche anstehe, sei geklärt, wie das Immunisierungsverfahren fortgesetzt werde, so Laumann.

Was ist denn das Problem mit dem Impfstoff?

Es gab mehrere Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) in Hirnvenen. Bei der Analyse hatten Experten des Paul-Ehrlich-Instituts eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen) in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit dem COVID-19-Impfstoff Astrazeneca festgestellt, teilte das Paul-Ehrlich-Institut mit.

Die Auffälligkeiten hatten im März zu einem Impf-Stopp geführt. Erst Mitte März waren Astrazeneca-Impfungen nach einer mehrtägigen Impfpause und neuen Überprüfungen wieder angelaufen. Trotzdem gab es weitere Thrombose-Fälle, die dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet wurden.

Ist die Impfung die Ursache?

Mit Ausnahme zweier Fälle betrafen alle Meldungen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren. Die beiden Männer waren 36 und 57 Jahre alt. In einem Beschlussentwurf der Stiko, der am Dienstag vor der neuen Impfempfehlung durchgesickert war, hatte es geheißen: „Obwohl deutlich mehr Frauen betroffen waren schränkt die Stiko vorsorglich ihre Empfehlung für beide Geschlechter ein.“

Gemeldet wurde dem Paul-Ehrlich-Institut etwa ein Fall pro 100 000 Astrazeneca-Impfungen (Stand 19. März). Das ist wenig, aber dennoch häufiger als zu erwarten wäre, denn in der Normalbevölkerung ist es noch seltener: „Diese sehr seltene Gerinnungsstörung trat unter den Geimpften häufiger auf, als es zahlenmäßig aufgrund der Seltenheit dieser Gerinnungsstörung ohne Impfung zu erwarten wäre.“

Andreas Greinacher von der Universitätsmedizin Greifswald zufolge könnten in seltenen Einzelfällen über die Immunantwort des Körpers die Blutplättchen aktiviert werden. Auch andere Forscher vermuten, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte.

„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht klar, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Berichten über Immunthrombozytopenie gibt“, heißt es beim PEI. Bisher gebe es keinen Nachweis, dass das Auftreten dieser Gerinnungsstörungen durch den Impfstoff verursacht wurde. Es würden aber weitere Untersuchungen durchgeführt, um das aufzuklären.

Für die Europäische Behörde EMA sind die Vorteile des Vakzins deutlich größer als die Risiken. Es wurde aber beschlossen, zu diesen sehr seltenen Ereignissen einen Warnhinweis in die Fach- und Gebrauchsinformationen aufzunehmen.

Welche Nebenwirkungen gibt es?

Zu den typischen Nebenwirkungen der Sinusvenenthrombose zählen unter anderem starke Kopfschmerzen, die circa zehn Tage nach der Impfung auftreten.

Die Mehrzahl der schweren Fälle trat zwischen sieben bis 14 Tagen nach der Impfung und überwiegend bei Frauen unter 55 Jahren auf, schreibt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite. Allerdings haben bisher auch insgesamt mehr Frauen unter 55 Jahren den Impfstoff erhalten als andere Personen. Ob es hier einen Zusammenhang gibt, ist noch unklar.

Wie viele Menschen haben bisher eine Thrombose nach der Impfung bekommen?

In NRW hat es nach Angaben von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bisher acht „schwere Ereignisse“ nach Impfungen mit dem Astrazeneca-Wirkstoff gegeben. Fünf Personen seien gestorben, sagte Laumann am Mittwoch in Düsseldorf. Alle seien unter 60 Jahre alt gewesen. Laut Ministerium handelt es sich um vier Frauen und einen Mann. Laut Ministerium waren nicht bei allen fünf Todesfällen in NRW Thrombosen in Hirnvenen die Ursache, aber ähnliche „thrombo-embolische Ereignisse“.

Dem Paul-Ehrlich-Institut waren bis Montagmittag 31 Verdachtsfälle einer Sinusvenenthrombose nach Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca gemeldet worden. Diese seien vier bis 16 Tage nach der Impfung überwiegend bei Personen im Alter unter 60 Jahren aufgetreten. In 19 Fällen wurde zusätzlich eine Thrombozytopenie gemeldet. In neun Fällen war der Ausgang tödlich. Laumann sagte, die Impfungen mit Astrazeneca würden in NRW fortgesetzt. Der Wirkstoff sei „weiter hoch wirksam“.

Noch vor der Entscheidung aus dem NRW-Landesgesundheitsministerium zu einem Impfstopp für Menschen unter 60 hatten mehrere nordrhein-westfälische Impfzentren bereits Astrazeneca-Impfungen für jüngere Frauen vorsorglich gestoppt. Dazu zählten Essen, Köln, die Kreise Heinsberg und Gütersloh. Am Montag der Kreis Euskirchen: Eine 47 Jahre alte Frau hatte dort wenige Tage nach der Impfung eine Sinusvenenthrombose erlitten und war gestorben. Auch eine 28 Jahre alte Frau aus Bonn war nach der Impfung im Kreis Euskirchen an einer solchen Thrombose erkrankt. Sie befindet sich laut Kreis „in einem stabilen Zustand und wird in einer Spezialklinik versorgt“.

(red/dpa)