Im Vergleich der Bundesländer Lehrer in NRW laut Umfrage überdurchschnittlich belastet

Düsseldorf/Stuttgart · Pandemie und Lehrermangel haben tiefe Spuren in den Schulen hinterlassen. Lehrer fühlen sich überlastet - vor allem in NRW. Schüler können sich laut einer Umfrage schlechter konzentrieren und sind aggressiver als zuvor. Viele Lehrkräfte wollen kürzer treten.

Eine Lehrerin schreibt in einer Schule an die Tafel.

Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen sehen ihre Kollegien einer repräsentativen Befragung zufolge im dritten Corona-Schuljahr in überdurchschnittlichem Maße belastet. Für das „Deutsche Schulbarometer“ der Robert Bosch Stiftung schätzten 56 Prozent der Befragten in NRW die aktuelle Arbeitsbelastung ihres gesamten Lehrerteams als „sehr hoch“ ein. Im Bundesdurchschnitt sagten das laut der am Donnerstag veröffentlichten Forsa-Befragung 46 Prozent. In der Länderbetrachtung hatte NRW damit den höchsten Wert.

Der Umfrage zufolge stehen aber bundesweit fast alle Lehrerinnen und Lehrer im dritten Pandemie-Jahr am Rand der Erschöpfung. Fast neun von zehn Lehrkräften in Deutschland fühlen sich persönlich stark oder sogar sehr stark beruflich strapaziert. Die meisten dehnen ihre Arbeit auf die Wochenenden aus und sehen dennoch vor allem klaffende Lücken im Lern- und Lehrplan.

In NRW schätzten insgesamt 85 Prozent der befragten Lehrer ihre persönliche Arbeitsbelastung als stark oder sehr stark ein - leicht mehr als im bundesweiten Durchschnitt (84 Prozent). Etwa jede zweite Lehrkraft in Deutschland sieht sich körperlich (62 Prozent) oder mental (46 Prozent) erschöpft.

Mehr als drei von vier Lehrerinnen und Lehrern (79 Prozent) arbeiten in der Regel auch an Wochenenden, für die meisten ist Erholung in der Freizeit kaum noch möglich (60 Prozent). „Lehrkräfte stehen enorm unter Druck“, sagte Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung.

Sie müssten nicht nur die Digitalisierung im Rekordtempo nachholen, Corona-Richtlinien überwachen und Lernrückstände aufarbeiten. Es gelte auch, den Fachkräftemangel abzufedern und eine steigende Zahl von geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen in die Schulen zu integrieren.

Für 44 Prozent der Befragten besteht ein Großteil des Unterrichts derzeit laut eigener Einschätzung aus Krisenmanagement. Das gilt vor allem für Haupt-, Real-, Gesamt- und Grundschulen. Dennoch äußerten sich drei von vier Pädagogen noch immer zufrieden mit ihrem Job - in NRW mit 67 Prozent allerdings weniger als im bundesweiten Durchschnitt (74 Prozent).

„Lehrerin oder Lehrer wird man aus Überzeugung“, erklärte Wolf. „Aber chronische Überlastung macht auf Dauer krank und unzufrieden. Schulen benötigen deshalb dringend zusätzliches Personal“, warnte sie.

Nicht nur in den Kollegien zeigen sich die Spuren der Corona-Belastung. Der Anteil ihrer Schüler mit „deutlichen Lernrückständen“ wird von den Lehrern allerdings sehr unterschiedlich beziffert. Im Mittelwert sehen 41 Prozent aller befragten Pädagogen deutliche Lernrückstände - in der Länderauswertung liegt NRW hier mit 47 Prozent wiederum am höchsten.

Zudem haben fast alle Lehrkräfte in Deutschland (95 Prozent) seit Beginn der Pandemie zunehmende Verhaltensauffälligkeiten bei ihren Schülern beobachtet. Viele hätten wachsende Probleme, sich zu konzentrieren oder zu motivieren, heißt es in der Auswertung.

„Das Schulbarometer unterstreicht, was wir seit Jahren sagen: Das System Schule ist auf Kante genäht“, kommentierte die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ayla Çelik, die Zahlen. „Fachkräftemangel, hohe Belastung, kaum Erholung - so kann es nicht weitergehen!“

Die kommende Landesregierung müsse deshalb dringend für Entlastung sorgen. Vorrangig seien Lehrkräfte von allen nicht-pädagogischen Aufgaben zu entlasten, beispielsweise durch IT- und Verwaltungskräfte. „Sonst sind Abgänge aus dem Berufsfeld und vermehrte Krankheitsfälle auf Dauer unvermeidlich.“ Gleichzeitig sei eine Fachkräfte-Initiative nötig.

Laut „Schulbarometer“ hat auch die Aggressivität bei den Schülern deutlich zugenommen. Allerdings werden der Umfrage zufolge nur an einem Drittel der Haupt-, Real- und Gesamtschulen und an jeder vierten Grundschule Sprechstunden von Schulpsychologen angeboten.

Die Stimmungslage der aktiven Lehrerinnen und Lehrer könnte den bereits deutlichen Lehrkräftemangel verstärken: Mehr als jede zehnte Lehrkraft (13 Prozent) gab in der Befragung an, kürzer treten und ihre Unterrichtsstunden im kommenden Schuljahr verringern zu wollen. Das gilt vor allem für Teilzeitkräfte. Laut Umfrage plant fast ein Drittel derjenigen, die aktuell 15 bis 20 Stunden unterrichten, das Deputat zu reduzieren (27 Prozent).

Bei den pandemie-spezifischen Fragen, fielen vor allem bei der Einstellung zur Maskenpflicht deutliche Unterschiede auf. „Lehrkräfte aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, unter 40-Jährige sowie Lehrkräfte großer Schulen mit mehr als 1000 Schüler:innen sprechen sich überdurchschnittlich häufig dafür aus, die Maskenpflicht im Unterricht vorerst beizubehalten“, heißt es in der Forsa-Auswertung. NRW wies bei dieser Frage mit 78 Prozent Befürwortern die höchste Zustimmung aus (bundesweit: 67).

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(dpa)