Stadt-Teilchen Ein Traum von Schokobrunnen: Das süße Bummeln vor Düsseldorfer Schaufenstern
Düsseldorf · Früher fand unser Kolumnist Hans Hoff Schaufensterbummel langweilig. Dann entdeckte er einen Schokoladenbrunnen.
Wenn meine Mutter mich quälen wollte, dann hat sie mich mitgenommen zum Schaufensterbummel. Das dauerte immer ewig und hätte eigentlich als Folter verboten werden müssen, weil meine Mutter natürlich nicht vor den interessanten Schaufenstern stehen blieb, sondern ausschließlich dort, wo es Textilien für Frauen zu bestaunen gab. Kleider, Blusen, Röcke, alles Dinge, die ein Heranwachsender als komplett überflüssig erachtet, wenn er im Schlepptau von Fenster zu Fenster gezogen wird.
Dabei gab es in den 60er Jahren durchaus Fenster, die etwas boten, was auch das juvenile Jungenherz höher schlagen ließ. Was habe ich mir die Nase bei Lütgenau an der Graf-Adolf-Straße plattgedrückt. Spielwaren im Überfluss gab es dort, Spielwaren links, Spielwaren rechts, Spielwaren überall. Das war das Paradies.
Oder die Weihnachtsdekoration der Kaufhof-Filiale an der Kö. Plüschkram, der sich bewegte oder ein tolles Bild formte. Was war das faszinierend. Das war auch mir jederzeit einen Schaufensterbummel wert.
Später lockten mich vor allem die Fenster vom Funkhaus Evertz am Kö-Ende. Stunden habe ich dort verbracht und auf Dual-Plattenspieler geglotzt. Ich setzte die Qualität in Verbindung mit den ausgeschriebenen Preisen, prüfte die angegebenen Antiskating-Werte und das Auflagegewicht. Leider verschwammen die Relationen regelmäßig, wenn meine Geldbörse ins Spiel kam. Da herrschte meist Ebbe, weshalb es mich dann immer wieder vor die Schaufenster zog.
Schauen, aber nicht anfassen, lautete die Regel. Schaufenster waren das Tor zu der eigenen Konsumfantasie, und oft waren die Träume, die man dort aufkommen ließ, weitaus schöner als das Gefühl, das sich einstellte, wenn man das gewünschte Gerät oder Spielzeug nach unendlicher Sparerei endlich sein eigen nennen durfte. Illusion schlägt Realität. Das war schon damals eine bittere Lehre.
Heute sorgt vieles für Faszination, aber selten sind es noch Schaufenster, die die Sinne binden. Wer im Smartphone die ganz große Welt vorhält und jederzeit alles aufrufen kann, der interessiert sich nicht mehr für Angebote hinter Glas, der erledigt drei Klicks, und dann wartet er auf den Postboten. Warum also noch zum Schaufensterbummel aufbrechen?
Mmmmh. Die Antwort erhält man bei „Gut & Gerne“ direkt neben dem Rathaus am Burgplatz. Dort sind immer wieder Menschen zu beobachten, die sich die Nase plattdrücken am Schaufenster, die gar nicht genug kriegen können von dem, was sie da sehen. Erwachsene und Kinder sind gleichermaßen betroffen. Und jene, die davor stehen, schwelgen regelmäßig in ausufernden Phantasien. „Oh, den will ich für zuhause“, jauchzen sie. Oder sie geben ihrer Lust freie Bahn. „Da möchte ich eintauchen“, stöhnen sie, seufzen sie fast.
Das Objekt der Begierde ist der dort hinter Schaufensterglas installierte Schokobrunnen, ein Wunderwerk der süßen Verführung. Über fünf Stufen fließt dort Schokolade in einen Auffangbehälter, geschmeidig, warm, mit vollem Schmelz. Das sorgt für Speichelfluss und Fülle-Fantasien. Wer vor diesem Schaufenster keine Insulinausschüttung verspürt, sollte mal seine Vitalfunktionen überprüfen lassen.
Natürlich erzählt das ausgestellte Wunderwerk keine Geschichten von behänder Drahtigkeit oder schlankem Sein. Vielmehr wirkt es, als stünde es auf einem zentralen Platz im Schlaraffenland, wo die Menschen sich morgens durch den süßen Brei futtern müssen, um zum Schokoladenbrunnen zu gelangen und dort ihren Süß-Durst stillen zu können. Das ist ebenso wie die hinter dem Brunnen angepriesene Pralinenauswahl nichts für Asketen, das ist eine Kalorien-Orgie sondergleichen. Das ist Zucker, Fett und alles, was Ernährungsberater auf der Warnliste führen. Aber es ist sooooo süß.
Genau deshalb wird das Kunstwerk ja auch hinter Glas gehalten. So ermöglicht es, alle süßen Sinne zu aktivieren, ohne ein Gramm zuzunehmen. „Komm wir gehen Schokobrunnen gucken“, sollte man sagen, wenn demnächst mal wieder eine Heißhungersnot ausbricht. Dann marschiert man zu „Gut & Gerne“ und sieht sich satt am Fluss, der niemals zu versiegen scheint, der sich aus sich selber speist, der eine unendliche Versorgung verspricht.
Hätte es so etwas in meiner Jugend schon gegeben, ich wäre gerne mit zum Schaufensterbummel gegangen und hätte meine Mutter immer wieder dorthin gezerrt. Danach hätte ich dann wochenlang phantasiert von einem Bad im Schokobrunnen. Ich, über und über in flüssige Schokolade gehüllt. Schaufensterträume halt.