Brand in Düsseldorf-Flingern „Die Schreie gehen mir nicht mehr aus dem Kopf“
Düsseldorf · Erst knallte es, dann stand das Haus in Flammen: In Düsseldorf-Flingern sind bei einem Brand drei Menschen ums Leben gekommen. Anwohner berichten von den Geschehnissen.
Als es gegen 2.30 Uhr laut knallt, ist Ebru Güvenc wach. Sie und ihre beiden Töchter gehen auf den Balkon und sehen schon die Flammen aus den Fenstern des gegenüberliegenden Wohnhauses schlagen. Die Schaufenster des Kiosks sind zerborsten, dicker Rauch quillt aus dem Erdgeschoss in die oberen Stockwerke. Das Blaulicht spiegelt sich in den Scheiben, das ist auf dem Video zu sehen, das Ebru Güvenc aufgenommen hat. Man hört, wie ihr Mann von einer heftigen Explosion spricht. Man hört das bedrohliche Lodern der Flammen. Man hört Schreie.
Es ist eine Erinnerung an das verheerende Feuer in Flingern, von der am nächsten Vormittag viele Anwohner der umliegenden Häuser berichten werden. Erst gab es die Detonation, dann die riesigen Flammen. Drei Menschen starben bei dem Brand, 16 Personen wurden verletzt, zwei von ihnen schweben noch in Lebensgefahr.
Die Menschen aus der Nachbarschaft werden wohl niemals vergessen, wie die Hilfeschreie aus dem Wohnhaus drangen. Und wie die Anwohner in ihrer Not versucht haben, sich in Sicherheit zu bringen. „Die Leute sind vom Balkon gesprungen“, sagt Ebru Güvenc. Drei oder vier junge Leute habe sie gesehen, die mit einem Sprung auf den Asphalt aus dem ersten Stockwerk vor dem Feuer flohen.
Selbst ein Taxi auf der anderen Straßenseite brannte aus
Sie kenne kaum jemanden aus dem gegenüberliegenden Haus, direkt an der Ecke Grafenberger Allee und Lichtstraße. Es ist ein markantes Haus mit den grünen Balkonen und der dicht bewachsenen Efeu-Fassade. Aber Ebru Güvenc kennt den Mann, der den Kiosk im Erdgeschoss führt. Ein Herr mit Familie, das bestätigen viele Nachbarn, die dort regelmäßig Pakete abholen und abgeben. Ebru Güvenc hat am Morgen versucht, ihn anzurufen. Er ist nicht ans Telefon gegangen.
Die Straßen sind am Donnerstag abgesperrt, auf Fahrbahnen und Bürgersteigen liegen Splitter, Lollis und E-Zigaretten aus dem Kiosk, ein pinker Kinderschuh. Die rußschwarze Fassade bröckelt an einigen Stellen, bis in die zweite Etage sind die Scheiben gesprungen, der Kiosk ist völlig ausgebrannt. Auf vier Autos haben die Flammen übergegriffen. Selbst ein Taxi auf der anderen Straßenseite ist nur noch ein Skelett. Bis dorthin muss die Detonation gereicht haben. Was sie ausgelöst hat, ist noch völlig unklar.
An diesem Tag nach dem Brand kursieren viele Gerüchte. Ein Nachbar berichtet, der Kiosk-Besitzer habe sich im Hinterraum ein kleines Wohnzimmer eingerichtet. Andere sagen, er habe dort nicht gewohnt, nur eben sein Büdchen geführt. Ein geschäftstüchtiger Mann, sagt ein Nachbar von gegenüber. Viele sprechen von einem massiven Knall und kleineren Detonationen, die darauf folgten. Einige sagen, die Möbel hätten gewackelt und Türen seien aufgesprungen. Einer hat eine Druckwelle gespürt, ein anderer ist nicht einmal wach geworden.
Es gibt Medienberichte, die eine Vertuschungstat vermuten. Aus Feuerwehrkreisen hieß es demnach, eine der Leichen weise starke Verletzungen auf, die nicht vom Brand oder der Explosion stammten. Die Staatsanwaltschaft prüfe das, heißt es. Die Polizei und NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dementieren. Momentan gebe es „gar keine Hinweise auf gar nix“, so Reul. Ein Polizeisprecher sagt, bislang gebe es keine Hinweise auf ein Fremdverschulden – und somit auch nicht auf eine Brandstiftung. Experten für Spurensicherung und Brandermittler sollen die Brandursache klären. Mit Gummistiefeln und Atemschutzmasken dürfen sie am Mittag erstmals das Haus betreten. Drohnen schwirren über dem Haus und erfassen die Lage aus der Luft.
Auch die Identität aller Toten ließ sich am Donnerstag nicht klären. Drei Männer sind bei dem Brand gestorben. Einer von ihnen war ein 55 Jahre alter Bewohner des Hauses, der tot in seiner Wohnung gefunden wurde. Staatsanwalt Martin Stücker wollte eine Fremdeinwirkung von außen nicht ausschließen. Bei den zwei weiteren Personen gab es auch nach einer ersten Untersuchung keine Klarheit. Sie lagen leblos im Treppenhaus. Auch die Todesursachen ließen sich bislang nicht eindeutig klären, stünden aber vermutlich im Zusammenhang mit dem Brand.
Saladin Mohammad kommt mit einem Besen vor die Haustür und beginnt, die Scherben zusammenzukehren. Er lebt im Haus direkt gegenüber. Als er von dem Knall wach wurde und die Flammen sah, habe sein Sohn sofort die Feuerwehr gerufen. Das Feuer, sagt er, sei im Erdgeschoss entstanden, am rechten Schaufenster des Kiosks. Nach und nach sei es hochgeschlagen auf die anderen Stockwerke. Er sah, wie eine Frau vom Balkon sprang. Dort, wo Ebru Güvenc drei bis vier Personen beobachtet hat.
Diese Explosion und dieses Feuer, da sind sich Nachbarn, Einsatzkräfte und Ermittler einig, waren verheerend. So einen heftigen Knall habe sie in ihrem Leben noch nicht erlebt, sagt eine Nachbarin, die seit 32 Jahren an der Lichtstraße wohnt. „Die Schreie gehen mir nicht mehr aus dem Kopf.“ Anwohner Markus Pagojus hat selbst bei der Bundeswehr im Brandschutz gearbeitet. Doch solch einen Brand, sagt er, habe er noch nicht gesehen. „Das war ein merkwürdiges Feuer“, sagt Pagojus. Es habe sich nicht durchgefressen, sondern rasant ausgebreitet. „Das ist eine Detonation, die es in sich hatte“, sagt auch ein Mitarbeiter der Kriminaltechnischen Untersuchung.
Die beiden Töchter von Ebru Güvenc sind an diesem Donnerstag trotzdem in die Schule und zum Praktikum gegangen, sagt sie. Das eine Mädchen hat heute eine wichtige Prüfung. Vermutlich, sagt Ebru Güvenc, kann sie sich kaum konzentrieren. „Wir stehen immer noch unter Schock.“