NRW Dunkle Wolken über dem Gemüseparadies
Hamm · Willi Andree ist Großbauer in Hamm, sein Vater Wilhelm verkauft jede Nacht auf dem Großmarkt Obst und Gemüse.
. Wenn der Sohn sein Tagwerk um Mitternacht abgeschlossen hat, fängt der Vater an zu arbeiten. Die Andrees sind seit vier Generationen Gemüsebauern in Hamm. Willi (43) leitet den Betrieb, Vater Wilhelm steht (85) Nacht für Nacht auf dem Großmarkt – und das seit mehr als 40 Jahren. Die Andrees sind die letzten richtig großen Gemüsebauern in Hamm. Wenn man von der Südbrücke aus eine Radtour Richtung Volmerswerth macht und vom Deich aus Richtung Rhein schaut, dann werden alle Felder bis auf eines von dem Unternehmen bewirtschaftet. „Auch in Neuss und Korschenbroich bauen wir unser Gemüse an, sowohl auf Freiland- als auch auf Gewächshausflächen“, sagt Willi Andree. Bewirtschaftet werden rund 100 Hektar, was ungefähr 140 Fußballfeldern entspricht.
Über dem Gemüseparadies sind schon lange dunkle Wolken aufgezogen. Die Stadt rückt den Bauern auf die Pelle und nun hat der Stadtrat auch noch beschlossen, den Großmarkt an der Ulmenstraße ab 2025 nicht mehr als öffentliche Einrichtung zu betreiben. Nach schwierigen und letztlich gescheiterten Verhandlungen über den Bau neuer Hallen zog erst die Stadttochter IDR und dann das Stadtparlament die Reißleine. Basta, Ende, Aus, sollen die Händler und ihre bis zu 4000 Kunden doch nach Venlo fahren, hieß es aus dem Rathaus. Für Willi Andree wäre das Aus des Großmarktes „katastrophal“, wie er offen sagt. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Ratsparteien „Unternehmen kaputt machen, wenn es dazu doch Alternativen gibt“. Die Hälfte seines Geschäfts hängt davon ab, dass es den Markt an der Ulmenstraße gibt. Er hofft, dass es einen neuen Anlauf gibt, den wichtigen Umschlagplatz für Lebensmittel zu erhalten oder ihm an anderer Stelle eine Chance zu geben. Beides ginge ja auch in einem privatrechtlichen Konstrukt.
Die Produktpalette reicht bei Andree von Kohl- über Wurzelgemüse und Salate bis hin zu Kräutern und zuweilen auch Blumen, aber davon wenig. Denn von der Blumenzucht gebe es ohnehin bereits sehr viel. Vor rund 40 Jahren war sie kaum zu sehen, der Name Kappes-Hamm kommt ja nicht von irgendwoher. Dann schwenkten einige Betriebe um, denn mit den Blumen lässt sich auf der Fläche mehr erreichen und somit mehr Geld verdienen. Dem Blick auf die Landschaft bietet sich dann ein anderes Bild. Der Boden ist mit einem Gewebe überzogen, das das Unkraut fernhält, aber auch Maulwürfe und Hasen. Abertausende Blumenpöttchen reihen sich heute auf vielen Feldern aneinander.
Jetzt sind es nur noch einige Bauern, die in nennenswerter Größe in Hamm, Volmerswerth und Flehe Gemüse anbauen. Schwiertz und Hoff in Flehe, Porten in Volmerswerth und eben Andree in Hamm. Und Düsseldorf insgesamt? Der Gartenbauverband hat 70 Mitglieder, aber das ist nur auf dem Papier, sagt Andree, tatsächlich produzieren nur 20 Betriebe, folglich fehlt die Lobby. In Hamm gab es mal 150 Betriebe, die je 2,5 bis drei Hektar umfassten, und wenn einer fünf Hektar hatte, war er groß. „Alles sehr ordentlich, viele kleine Parzellen“, erinnert sich der Vater, „eine Augenweide wie ein Blumenbeet.“ Aber die kleinen Betriebe lohnten sich immer weniger und es fehlte Nachwuchs. „Wenn die Jugend im Fetttopf groß wird, fehlt ihr was“, findet der Senior, „man muss hungrig sein.“
Wenn es danach geht, ist die Familie Andree mit Appetit gesegnet, sie ist geschäftstüchtig, was aber auch heißt, dass sie unermüdlich arbeitet und viel zur regionalen Versorgung beiträgt, die im Ansehen sehr gestiegen ist, bei vielen Verbrauchern und in den Sonntagsreden der Politik ohnehin. Andree produziert reichlich Gemüse, es wird an sechs Tagen pro Woche geerntet, frisch geliefert oder verkauft, 4000 Kisten am Tag sind ein Durchschnittswert. Der Sonntag ist der stärkste Liefertag, sechs Lkw und zehn Sprinter oder ähnliche Fahrzeuge sind im Einsatz. Je nach Saison hat das Unternehmen bis zu 60 Mitarbeiter, mit 14 Traktoren geht es auf die Felder. Außerdem wird Ware zugekauft, denn nicht alles, was ein Kunde möchte, produzieren die Bauern selbst.
Eigentlich müsste einer wie Andree hofiert werden, regionale Frischeprodukte ohne großen Transport wollen doch alle, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Der Hof an der Aderkirchstraße platzt aus allen Nähten, weiter expandieren kann er da nicht. Beim Verladen wird es auf der Straße eng, der Gabelstapler und andere Verkehrsteilnehmer kommen sich in die Quere. Der Hof ist über die Jahre von immer mehr Mietshäusern umzingelt worden, die Stimmung ist belastet. Seit mehr als zehn Jahren versucht Willi Andree, die komplette Produktion zu verlegen, das Waschen und Verpacken des Gemüses, die Kühlhäuser, die Unterkünfte für die Saisonarbeitskräfte, den Maschinenpark, auch eine Betriebsleiterwohnung soll es geben, aber die ist der Zankapfel bei der Genehmigung.
Sechs Anläufe hat er in Düsseldorf gemacht, alle scheiterten. Sogar neben der Fährstraße am Kohlweg wurde aus dem Plan nichts, weil sich da die Frischluftschneise Richtung City befindet, die er stören könnte, erzählt der 43-Jährige und zeigt auf die massiven Hochbauten im Medienhafen ein paar hundert Meter weiter, wo es die Frischluft offenbar mit dem Durchkommen etwas leichter hat. Jetzt hat er sogar einen Versuch in Neuss unternommen, aber auch da wird aus einer Ansiedlung nichts. Da gibt es ja schon Bauern, einem Düsseldorfer Betrieb rollt man nicht den roten Teppich aus, lautet Andrees Resümee.
Neben seinem Land befinden sich jetzt oft Blumenfelder, von denen bei Regen das Wasser herüberläuft. Steht das Gemüse dann ein paar Tage im Wasser, ist es nicht mehr zu gebrauchen. Auch ging viel Fläche für die Bauern verloren, etwa weil die Kläranlage Hamm in Richtung Südbrücke erweitert, weil Kleingärten an der Plockstraße verdrängt wurden, die einen neuen Platz brauchten, weil die Awista einen Standort für ihren Fuhrpark benötigte, übrigens gleich neben dem Hochhaus des Landesumweltamts, bei dem man sich fragt, was es da im Grünen eigentlich verloren hat.
Zwischen 200 und 250 Kunden hat Willi Andree, auch solche wie Rewe Dortmund oder große Schnittbetriebe, die bei ihm etwa Salate kaufen und diese in Tüten portionieren, oftmals in 1,5- oder Zwei-Kilo-Packungen für die Gastronomie. Einige dieser Betriebe kaufen auf dem Großmarkt bei Wilhelm Andree Produkte ein, die sie am nächsten Tag verarbeitet wieder mitbringen. Ebenso kauft der 85-Jährige bei anderen Erzeugern ein, weil er Kunden hat, die die Ware bei ihm in Halle 8 neben seinen Produkten erwerben. „Der Großmarkt ist ein echter Markt mit großer Vielfalt aus aller Herren Länder, eine Drehscheibe für Frischwaren“, sagt Willi Andree.
Um Mitternacht geht’s an der Ulmenstraße für Vater Wilhelm und sein 15-köpfiges Team los. Die Hälfte der Kunden sind Wochenmarktfahrer, die andere Hälfte besteht aus Großkunden, Gastronomen oder ihren Lieferanten, Betriebskantinen, Versorgern von Kitas, Schulen und Krankenhäusern. Wilhelm Andree kennt nicht ´zig, sondern hunderte Leute, viele kommen in sein holzverkleidetes Büro in der Halle, in der Bilder der Enkel hängen und ein Fortuna-Poster.
Der Großmarkt sichert die Produktqualität in der Region
Immer wieder wird abgerechnet, Wilhelm Andree rechnet alles erst mit der Hand aus und dann mit der Rechenmaschine nach. Er ist ein Ur-Düsseldorfer, an den Menschen interessiert, sagt nicht sechzig, sondern seckzich. Jeder, der an seinem Schreibtisch steht, genießt den kleinen Klön, bei dem Sprüche gewechselt werden und rasch zu hören ist, dass der Spitzname von Andree „Scheich“ ist, weil die Frau, mit der er seit 15 Jahren glücklich ist, seine dritte ist. Am Ende bekommt jeder von Wilhelm, dem Alterspräsidenten, was Süßes zugesteckt und eine Münze für einen Kaffee.
Immer wieder ist in den Gesprächen das drohende Aus für den Großmarkt Thema. Das können sich alle nicht vorstellen, die Erzeuger aus der Großregion Düsseldorf nicht, die vom Bergischen oder vom Niederrhein ihre Produkte nach Derendorf bringen, Wilhelm Andree nicht. Auch Ahmet Colah aus Uerdingen nicht, der um 6 Uhr zum Bezahlen kommt. Er lobt die persönliche Flexibilität und Qualität, die einer wie Andree auszeichnet. „Wenn Leute wie er nicht mehr hier sind, fallen Angebote weg und die Bauern leiden“, ist der Händler überzeugt.
Der Preis bei zehn Sattelzügen mit Pflaumen aus Bosnien-Herzegowina sei vielleicht fünf Cent niedriger, aber die fünf Paletten mit exquisiten Aprikosen, die er suche, die habe eben nur Andree zugekauft und biete sie nun an. Colah ist deswegen überzeugt, dass die besondere Struktur des Großmarkts die Bauern am Leben hält und den Menschen in der Region bei ihrer Versorgung Qualität sichert.
Wenn es nur noch zu Großmärkten wie Herongen oder Venlo gehen soll, bleiben einige auf der Strecke, ist auch Willi Andree überzeugt. Das hätten frühere Konzentrationen in der Branche gezeigt. Zudem gehörten manche Produkte zur Region, wo sie auch vertrieben werden müssten. „Stielmus kennt man in Düsseldorf, Wuppertal und im Ruhrgebiet, aber nicht in Dresden, Hamburg oder München“, sagt der 43-Jährige.
Gegen 10 oder 11 Uhr fährt Wilhelm Andree nach Wittlich. Da schaut er noch um 12 Uhr im Fernsehen die Messe, denn er ist gottgläubig. Manchmal fallen ihm dann schon die Augen zu. Wenn er um 22 Uhr aufsteht, gibt es was Leckeres wie Bratkartoffeln mit Wachsbohnensalat oder dicke Bohnen. Um Mitternacht sitzt er dann wieder in Halle 8 wie immer. Er hat zwei Herzinfarkte überlebt und einen Schlaganfall und ist glücklich, dass er seine Arbeit machen kann – so lange es eben geht.