20 Jahre nach dem ungesühnten Anschlag vom S-Bahnhof Wehrhahn
Düsseldorf · In das Gedenken an das Leid der Opfer mischt sich bittere Kritik an Strafermittlern, Politik und Verwaltung.
Die Gedenktafel hängt bereits seit dem 11. Mai an der Brücke über den Gleisen des S-Bahnhofs Wehrhahn. Eine Gedenktafel, die nicht nur an den Bombenanschlag an eben jener Stelle vor 20 Jahren erinnert. Sondern deren Text auch bittere Vorwürfe enthält. Nicht nur an die Strafverfolgungsbehörden, denen Versäumnisse bei den Ermittlungen vorzuwerfen seien. Auch die Stadt Düsseldorf kommt nicht gut weg. Auf dem schlichten Metallschild, das am Montag, genau 20 Jahre nach dem Anschlag, mit einer Gedenkveranstaltung einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurde, heißt es: Betroffene des Anschlags seien „trotz ihrer teilweise schweren Verletzungen und den aus diesen folgenden Einschränkungen von der damaligen Politik und Verwaltung nicht ausreichend unterstützt worden“.
Am Montag versuchte die Stadt, wenigstens symbolisch ein Stück Reparaturarbeit zu der weder politisch noch juristisch gelungenen Aufarbeitung zu leisten. Getrieben von den Bezirksvertretungen 1 und 2 und dem Antirassismus-Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“ gab es die Gedenkfeier, bei der auch Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) deutliche Worte zu dem „feigen, menschenverachtenden, brutalen Terroranschlag“ fand. Es sei besonders beschämend, dass bis heute der oder die Täter nicht ihrer gerechten Strafe zugeführt werden konnten, „weil es im Nachgang dieses Terroranschlages offenkundige Versäumnisse bei den Ermittlungen gegeben hat“.
Die Tat und die erfolglose juristische Aufarbeitung
Bei dem Anschlag am 27. Juli 2000 war am S-Bahnhof Wehrhahn eine in einer Plastiktüte enthaltene Rohrbombe explodiert. Zehn Menschen wurden verletzt, darunter mehrere jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Ein Metallsplitter durchbohrte ein ungeborenes Baby im Bauch seiner Mutter und tötete es. Die Opfer waren Schüler einer Sprachenschule in der Nähe des S-Bahnhofs.
Schon kurz nach dem Anschlag war ein Militaria-Händler aus der Nachbarschaft des Tatorts in Verdacht geraten. Das Verfahren gegen ihn war jedoch 2002 eingestellt worden, wurde dann 2014 neu aufgenommen. Im Prozess vor dem Landgericht sprachen zwar zahlreiche Indizien für eine Schuld des Angeklagten. Aber den Richtern reichte das nicht aus, um zu einem Schuldspruch wegen des vorgeworfenen zwölffachen Mordversuchs zu kommen. Gegen den 2018 ergangenen Freispruch läuft noch eine Revision der Staatsanwaltschaft vor dem Bundesgerichtshof.
Die Gedenktafel, vor der am Montag an den Anschlag erinnert wurde, findet sich auf der Eisenbahnbrücke an der Ackerstraße. Ein paar Meter weiter, auf dem Zugang zum S-Bahnhof, findet sich eine weitere Plakette. An eben der Stelle, an der die Bombe damals explodierte. Eine Metalltafel des Künstlers Maurice Urhahn, durchschnitten von scharfen Einschlagsspuren, die die Folgen der durch die Bombe umherfliegenden Splitter symbolisieren.
Aus den Reden spricht
viel Verbitterung
Verbittert klangen am Montag die Worte von Ekaterina Pyzora, einem der Opfer des Anschlags. Sie bedankte sich zunächst bei Geisel als „dem ersten Oberbürgermeister seit dem Jahr 2000, der sich mit dem Anschlag beschäftigt hat“. Keiner seiner Vorgänger habe sich dafür interessiert. Sie sei im Jahr 2000 als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen, wollte ein neues Leben beginnen. „Mit so viel Träumen und Hoffnungen. Aber dieser Tag hat mein ganzes Leben durchkreuzt.“ All das körperliche und seelische Leid, das sie und die anderen Opfer des Anschlags hätten durchmachen müssen, sie könne das nicht mit Worten beschreiben. Bei anderen Anschlägen, sagt sie verbittert, werde doch immer alles vom Kopf auf die Füße gestellt, Täter würden gefasst, Politiker entschuldigten sich. Und die Opferentschädigung werde ausgezahlt. „Bei uns hat es so etwas 20 Jahre lang nicht gegeben, keine Entschuldigung, keine Entschädigung. Deshalb schicke ich bittere Grüße an die Polizei, an die Staatsanwaltschaft“, sagt sie.
Kritik gab es auch von Ruth Rubinstein, der Ehrenvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf – und zwar am Text der Gedenktafel. „Zwar wurde auf unsere Bitte hin das Wort ,antisemitisch’ in den Text hinzugefügt. Allerdings wird mit keinem Wort erwähnt, dass jüdische Menschen unter den Opfern waren.“ Rubinstein: „All diese Menschen sind aus ihren Ländern geflohen, weil der Antisemitismus dort stärker und bedrohlicher wurde. Sie kamen nach Deutschland in der Hoffnung, hier frei und sicher leben zu können. Doch ausgerechnet in ihrer neuen Heimat, deren Sprache sie hier in der Nähe erlernten, wurden sie Opfer eines feigen antisemitischen Anschlags. Damit kam die Angst, sich als Jüdin oder Jude öffentlich zu bekennen und entsprechend zu leben, auch in unsere Stadt.“