Kommunalpolitik Alle Kritik auf OB Geisel – doch was ist eigentlich mit den Dezernenten?
Düsseldorf · Musikschule oder Klimaschutz: CDU und Grüne werfen Thomas Geisel Versäumnisse vor – und übersehen dabei lieber die Zuständigkeit ihrer eigenen Beigeordneten.
Ist es vorstellbar, dass die CSU-Landesgruppe im Bundestag harsche Kritik an der Verkehrspolitik ihres Ministers Andreas Scheuer übt? Oder die CDU die Gesundheitsreformen von Jens Spahn als vollkommen unzureichend abkanzelt? Nein, das ist es ebenso wenig wie die Vorstellung, dass die SPD-Bundestagsfraktion kein gutes Haar an der Sozialpolitik von Hubertus Heil lässt. Natürlich nicht, es sind schließlich die eigenen Parteifreunde – und auf die haut man nicht ein. Jedenfalls nicht coram publico.
Im Düsseldorfer Rathaus ist das anders. Da schimpften die Grünen, die ganz nebenbei zum seit 2014 regierenden Ampel-Bündnis (mit SPD und FDP) gehören, letzte Woche per Pressemitteilung wieder mal über die Umwelt- und Klimapolitik der Stadtregierung. „Die Stadtspitze hat die Bedrohung durch die Klimakrise immer noch nicht verstanden“, meinte Fraktionssprecher Norbert Czerwinski, und: „So bleibt das Konzept zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2035 nur heiße Luft.“ Namentlich war dann freilich immer nur von Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) als Schuldigem die Rede, er sei es, der eine schnellere Umsetzung von Maßnahmen blockiere. Gewiss nicht vergessen, aber offensichtlich verdrängt haben die Grünen dabei den Umstand, dass sie selbst seit 20 Jahren die Umweltdezernentin in Düsseldorf stellen – erst mit Charlotte Nieß-Mache, seit 2007 in Person von Helga Stulgies.
Ganz ähnlich agiert die CDU. Seit Jahren prangert die Oppositionspartei mit Verve – in der Tat bestehende – Missstände an der Clara-Schumann-Musikschule an. Und macht dabei stets OB Geisel persönlich für die Probleme verantwortlich. Auf den Gedanken, mal bei Hans-Georg Lohe, CDU-Mann und Kulturdezernent seit 2006, vorstellig zu werden, kommen die Christdemokraten hingegen nicht. Dabei ist der für die Musikschule verantwortlich und hat auch gerade erst das neue Gebühren- und Personalkonzept öffentlich an der Seite Geisels vorgestellt – für das die CDU dann wiederum nur den OB scharf kritisierte.
Nun muss man nicht gleich in großes Mitleid mit Geisel verfallen. Denn der greift seinerseits so ziemlich nach jeder öffentlichen Zuständigkeit, die sich bietet – am liebsten, wenn Zustimmung und Lob vom Wahlvolk winken. Insofern überlässt der OB möglichst keine Grundsteinlegung oder Eröffnung von Schulen oder Kitas dem Schul- und Jugenddezernenten allein.
Spricht man CDU und Grüne auf ihr sehr selektives Angriffsverhalten an, hört man oft, ihre Beigeordneten (Dezernenten) könnten nun mal gegenüber dem OB nicht viel ausrichten. Doch das ist Unfug. Zwar haben städtische Beigeordnete nicht ganz so eine starke Stellung wie Bundesminister, die ihr Ressort unabhängig von der Bundeskanzlerin führen können. Aber auch sie leiten selbstständig ihren Bereich. Und sie haben in aller Regel eine starke politische Rückendeckung durch den (fast) „allmächtigen“ Stadtrat, der sie für acht Jahre gewählt hat. Der Oberbürgermeister kann sie folglich auch nicht entlassen, was die Bundeskanzlerin bei ihren Ministern wiederum kann (via Bundespräsident). Das heißt: Starke Beigeordnete können durchaus den Kurs und das Umsetzungstempo in ihrem Ressort mitbestimmen – wenn sie denn (wie etwa Stadtdirektor Burkhard Hintzsche im Sozialen, bei Schule oder Sport) den entsprechenden Gestaltungswillen haben.
Anders wäre auch gar nicht zu erklären, warum es seit jeher ein solches politisches Gerangel und Gewese um die Besetzung der Beigeordnetenposten (welche Partei kommt wann zum Zuge, wer hat das Vorschlagsrecht?) gibt. Wenn doch nur der OB das Sagen hätte, könnte man sich diese Spielchen getrost sparen. Tatsächlich jedoch räumt die Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen den Beigeordneten in §70, Absatz 4 ausdrücklich das Recht auf öffentlichen Widerspruch zum Stadtchef ein: „Bei Meinungsverschiedenheiten entscheidet der (Ober-)Bürgermeister. Die Beigeordneten sind berechtigt, ihre abweichenden Meinungen in Angelegenheiten ihres Geschäftsbereichs dem Hauptausschuss vorzutragen.“
Wenn also etwa Helga Stulgies findet, sie werde bei der Umsetzung der Klimaziele gebremst, könnte sie jederzeit Alarm schlagen.