„Kinder entwickeln die Produktionen mit“
Beste Ansprechpartnerin für all das, was mit und für Kinder und Jugendliche am Tanzhaus NRW gemacht wird, ist die Dramaturgin des Jungen Tanzhauses Mijke Harmsen. Wir sprachen mit ihr über das besondere Profil der Jugendsparte.
Können Sie uns zunächst ein bisschen über sich erzählen?
Mijke Harmsen: Ich bin jetzt seit viereinhalb Jahren hier. Vorher war ich in Berlin am HAU (Hebbel am Ufer) und habe dort das Jugend- und Begleitprogramm gestaltet. Davor war ich in den Niederlanden, ich bin Niederländerin und habe in Groningen Kunst- und Kunstpolitik - so würde ich es übersetzen - studiert und in Antwerpen Theaterwissenschaften. Als ich hierhergekommen bin, habe ich Arbeitsweisen aus Berlin mit eingebracht. Ich hatte am HAU den „House-Club“ gegründet. Die Idee dahinter war, dass freie Compagnien, bevor sie eine Produktion zu entwickeln beginnen, in den „House Club“ einziehen - ein Raum, der für Residenten zur Verfügung steht. Da das HAU nicht gezielt für junges Publikum produziert hat, ging es uns darum, Jugendliche wenigstens mit in den künstlerischen Prozess einzubeziehen. Dies war eine Arbeitsform, die ich hier weiterverfolgt habe.
Sie beziehen die Jugendlichen in die Produktion mit ein?
Harmsen: Ja, die Kinder und Jugendlichen, je nach Thema oder Interesse, werden immer im Vorfeld mit einbezogen. Nehmen wir als Beispiel die Produktion „Party“ von Alfredo Zinola und Maxwell McCarthy. Beide Künstler kamen mit der Idee auf mich zu, eine Produktion für ziemlich kleine Kinder entwickeln zu wollen, die „Party“ heißt und auch eine Party sein soll. Ihr Ziel war: Kinder zum Tanzen zu bringen. „Party“ soll eine Vorstellung sein, aber die Kinder auch von Anfang an mit auf der Bühne zu integrieren, so dass sie eine eigene Bewegungssprache entwickeln können. Wir haben entschieden, dass sie in das Zitty-Familienzentrum um die Ecke ziehen und, dass die erste Recherchephase dort stattfinden sollte, wo es eben viele Kinder gibt. Die Künstler haben während der Proben immer Momente gesucht, um mit den Kindern zusammenzuarbeiten. Durch diese Arbeitsweise fanden sie schon früh im Produktionsprozess heraus, dass das, was sie wollen, nur funktioniert, wenn die Erwachsenen nicht mit im Raum sind. Letztendlich haben wir die Erwachsenen dann zum Bühnenbild gemacht. So hat man sie nicht wirklich bemerkt und die Kinder konnten sich frei bewegen.
Ist diese Art der Arbeit ein besonderer Schwerpunkt bei dem Jungen Tanzhaus? Ein Alleinstellungsmerkmal?
Harmsen: Ich glaube schon. Das hat damit zu tun, dass wir sowohl mit vielen Partnerschulen in Düsseldorf zusammenarbeiten, als auch Stücke produzieren und stets versuchen, diese beiden Ebenen aufeinander abzustimmen. Wir gucken immer in beide Richtungen. Einerseits: Wie vermitteln wir Kunst an ein junges Publikum? Andererseits: Wie vermitteln wir die Kinder- und Jugendwelt an die Künstler?
Erzählen Sie uns doch bitte, was sie alles am Jungen Tanzhaus machen?
Harmsen: Wir haben fünf, sechs Produktionen im Jahr, bei denen Kinder immer wieder miteinbezogen werden. Dann haben wir die intensiven Kooperationen mit vierzehn Schulen, bei denen Tanzunterricht stattfindet. Wir versuchen ergänzend aber auch, diesen Unterricht an die Produktionen, die im Tanzhaus NRW entstehen, anzubinden.
Ist es ein klassisches theaterpädagogisches Konzept?
Harmsen: Wir bieten selbstverständlich auch vorbereitende und nachbereitende Workshops an, das wäre die klassische Theaterpädagogik. Das Besondere im Tanzhaus NRW ist aber die intensive Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen in den künstlerischen Prozess, etwa, wenn wir mal ein paar Wochen in eine Schule ziehen. Im Vorfeld klären wir natürlich, welche Produktion für diese spezifische Klasse passend sein könnte.
Gibt es so etwas wie Themenschwerpunkte in einer Saison?
Harmsen: Oft. In der nächsten Spielzeit geht es tatsächlich um Rollenvorbilder. Wir werden etwa ein Stück einladen, das „Role model“ heißt und von der Choreografin Nicole Beutler stammt. Darin stehen fünf sehr starke junge Frauen im Mittelpunkt, die uns einen Gegenvorschlag aus weiblicher Perspektive machen. Oder auch das Stück „Passing the Bechdel test“ von Jan Martens und des belgischen Produktionshauses Fabuleus. Das ist eine Produktion, worin Jugendliche eine künstlerische Bestandsaufnahme zu Geschlechterdiversität präsentieren. „Bechdel test“ ist ein Test, bei dem man sich ein Buch oder einen Film vornimmt und schaut, welche Rolle die Frau hat, ob sie überhaupt eine Hauptrolle hat und ob sie auch mal Superheldin sein kann, beispielsweise. Man hat den Test übrigens dann bestanden, wenn mindestens zwei Frauen vorkommen, die über etwas anderes als einen Mann sprechen!
In dem Moment, wenn man ein Gegenstand untersucht, stülpt man doch sein eigenes Denken auf den Gegenstand über, oder?
Harmsen: Das ist auch ein Punkt, den ich sehr wichtig finde. Da sind wir wieder bei der Produktion von Vorstellungen für ein junges Publikum. Es ist wichtig, dass man genau diese Perspektiven immer mitnimmt. Was sind die Perspektiven von den jungen Menschen? Aber gleichzeitig nicht vergisst, dass man eine professionelle erwachsene Perspektive hat, eine geformte ästhetische Sprache. Beide Seiten sollten sich bereichert fühlen.
Sie haben auch Festivals.
Harmsen: Das Festival ist ein Teil eines Projektes, „Take-off Junger Tanz“, das vom Tanzhaus NRW geleitet wird und nicht nur am Jungen Tanzhaus stattfinden, sondern auch das FFT, das Junge Schauspiel und die Tonhalle miteinbezieht und einmal im Jahr stattfindet. Das Festival wechselt thematisch immer wieder. Es finden Produktionen, Workshops und Lectures statt. Das Tanzcamp andererseits ist ein Workshop-Programm in den Herbstferien, was wir gezielt inklusiv ausgestaltet haben, besser als „mixed-abled“.
Noch ein Wort zur Jugendkompanie?
Harmsen: Die ist im Moment in Entwicklung. Wir hatten lange eine Company unter dem Namen B2B. Irgendwann sind die jungen Tänzer aber erwachsen geworden. So haben wir uns entschlossen, neu anzufangen und haben die neue Company, die wöchentlich einmal im Tanzhaus NRW zusammenkommt, inklusiv ausgerichtet. Aber der Prozess war fragil. Am Aufbau arbeiten wir noch.