Kinderschutzbund in Düsseldorf „Die Kinder malen Bomben“

Düsseldorf · Die Geschäftsführerin des Kinderschutzbunds über Fluchterfahrungen in Familien und wie man damit umgeht.

Bettina Erlbruch, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes, vor dem Spielmobil „Blauer Elefant auf Rädern“.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Seit vier Monaten herrscht Krieg in der Ukraine – Tausende Menschen sind nach Düsseldorf geflüchtet, hauptsächlich Frauen mit Kindern. Wie gehen sie mit den Ängsten, Erinnerungen an den Krieg und Fluchterfahrungen um? Bettina Erlbruch, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Düsseldorf, erklärt, warum Kinder Krieg spielen und wie geflüchtete Eltern wieder Halt finden können.

Frau Erlbruch, der Kinderschutzbund bietet seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine auch Unterstützung für geflüchtete Familien in Düsseldorf. Wie läuft das?

Bettina Erlbruch: Die ukrainischen Familien sind meist erst drei, vier Monate in Düsseldorf und haben fast alle die Idee, wieder nach Hause zurückzukehren. Das macht es ein bisschen schwieriger, was die Hilfen angeht. Die Geflüchteten, die 2015 gekommen sind, wollten langfristig hierbleiben. Sie hatten eine andere Motivation, sich hier einzubringen, ihre Kinder hier zu integrieren. Die Familien aus der Ukraine sind mit den Gedanken in ihrer Heimat und bei den Menschen, die sie dort zurückgelassen haben.

Werden die Hilfen trotzdem angenommen?

Erlbruch: Ja, durchaus. Auf Spielplätzen und in den Flüchtlingsunterkünften erfahren die Menschen, dass wir Angebote für sie vorhalten. In unseren Familiencafés können die Kinder mit Gleichaltrigen spielen, Mütter können gleichbetroffene Frauen kennenlernen. Zudem sind die Gruppen gemischt, es sind also immer Familien aus den Stadtteilen dabei und so gibt es die Möglichkeit zur Vernetzung. Uns geht es in erster Linie ja darum, Sprache zu vermitteln.

Welche Erfahrungen machen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei?

Erlbruch: Unsere Kollegin, die mit dem Spiel- und Beratungsmobil „Blauer Elefant auf Rädern“ unterwegs ist, berichtet, dass die Mütter die Spielzeit mit ihren Kindern oft als befreiend empfinden. Gleichzeitig wirken die Kinder in der Unterkunft, die ausschließlich ukrainische Mütter und ihre Kinder beherbergt, deutlich gestresster, rastloser, angespannter als Kinder in anderen Flüchtlingsunterkünften.

Woran liegt das?

Erlbruch: Die Familien wissen nicht, wo sie bleiben. Geht es zurück in die Ukraine oder lassen sie sich hier nieder? Wie heimisch dürfen sie sich fühlen, wie sehr sich hier einrichten? Und gleichzeitig ist da die Angst um die Väter, Brüder, Onkel, die in der Ukraine geblieben und der Gefahr ausgesetzt sind. Bei Familien aus anderen Ländern war das Ziel, sich aufzumachen in den Westen, um den Kindern hier eine sichere Zukunft aufzubauen. Die Mütter aus der Ukraine mussten sich zwangsweise und sehr rasch in Sicherheit zu bringen. Aber sie wollen eigentlich so schnell wie möglich wieder zurück.

Welche Herausforderungen stellen sich noch?

Erlbruch: Einige Familien bringen traumatische Erfahrungen mit: Bombardierungen, Verlust von Körperteilen, der Tod von nahestehenden Menschen, das Zuhause brennt. Wir kennen zwar alle die Bilder, doch es ist etwas ganz anderes zu spüren, wie die Erde bebt und das Heim in Schutt und Asche gelegt wird.

Ist das bei den Angeboten auch Thema?

Erlbruch: Beim Spielen unter den Kindern nimmt man das durchaus wahr. Wenn die Kinder malen, dann sind das Kriegsbilder. Da brennt das Haus, da wird geschossen, da fliegen Bomben. Darum werden wir pädagogisch tätig und initiieren andere Spiele, bei denen nicht am Ende jemand tot umfällt.

Ist das eine normale Reaktion, dass Kinder traumatische Erlebnisse so verarbeiten?

Erlbruch: Ja, das ist eine kreative Umsetzung der Thematik. Indem die Kinder das Erlebte beim Spielen wiederholen, machen sie es handhabbarer und beginnen mit der Verarbeitung. Wir versuchen, den Krieg in Gesprächen immer wieder aufzugreifen, zuzuhören und zu bestätigen. Und gleichzeitig wollen wir ablenken, einfach gemeinsam spielen und die Kinder Kinder sein lassen.

Inwiefern unterscheiden sich Fluchterfahrungen bei Kindern und Erwachsenen?

Erlbruch: Erwachsene wissen, warum sie flüchten, Kinder oft nicht. Sie haben keine Sprache dafür, sondern einfach Angst und wissen nicht, wohin damit. Gewohnte Rituale entfallen und die Unsicherheit wächst. Wenn Kinder von Angst überflutet sind, fühlen sie sich haltlos. Und die Eltern, die eigentlich der Garant sind für Sicherheit und Geborgenheit, fühlen genauso. Sie vermissen den Ehemann, den Vater, den Bruder und haben Angst um die Menschen in der Heimat. Dementsprechend ängstlich und ruhelos sind auch die Kinder.

Wie können Sie helfen?

Erlbruch: Es geht darum, die Eltern so weit zu stabilisieren, dass sie ihren Kindern wieder Halt geben können. Und gleichzeitig müssen wir für die Kinder Orte schaffen, an denen sie Halt finden. Deswegen ist es so wichtig, dass sie zeitnah in die Kita oder in die Schule kommen, wo sie als Kind gesehen werden und ihren kindlichen Bedürfnissen nachgeben können. Zuhause sind die Ängste oft allgegenwärtig. Der Krieg ist quasi allgegenwärtig. Per Facetime wird telefoniert, im Hintergrund sieht man die Trümmer, im Fernsehen laufen die Nachrichten. Das führt nicht dazu, dass sich Kinder in die Ecke setzen und spielen. Sie kleben an den Eltern, hören zu und bekommen alle Nöte mit.

Wie ist das bei Jugendlichen?

Erlbruch: Bei Jugendlichen ist es oft ein wenig anders. Da haben viele die Hoffnung, dass sie hier noch einen Abschluss hinkriegen und trotzdem ihren Weg gehen können. Es gibt jedoch auch viele, die eine depressive Reaktion zeigen, sich in ihr Schneckenhaus zurückziehen und darauf warten, dass der Krieg vorbei ist und sie wieder nach Hause zurückkehren. Das ist für das Alter nicht untypisch. Das soziale Netzwerk, das die Jugendlichen getragen hat, ist zerrissen.

Häufig heißt es, Kinder könnten sich schneller an neue Situationen anpassen. Ist das tatsächlich so?

Erlbruch: Das kommt ganz darauf an, was sie erlebt haben und wie stabil die Eltern sind. Welche Ressourcen ein Kind hat, wie resilient es ist. Es gibt Kinder, die recht schnell ankommen und sich in der Schule integrieren. Und es gibt Kinder, die sich verweigern und das nicht aushalten können. Je kleiner die Kinder sind, desto größer ist das Gefühl der Machtlosigkeit. Das kann auch zu psychischen Auffälligkeiten führen.

Wie sind die Kitas und Schulen darauf vorbereitet?

Erlbruch: Die Integration der Kinder läuft gut, die Stadt Düsseldorf ist sehr zügig darin, Kita- und Schulplätze zu vermitteln. Die Kitas und Schulen sind seit 2015 ganz gut auf geflüchtete Kinder vorbereitet. Es gibt Unterstützung durch Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Man kann sich aber ganz gut vorstellen, dass die Situation im Alltag mit 30 Schülern in der Klasse recht angespannt ist.

Sie sagen, es sei wichtig, die Eltern zu stabilisieren. Wie ist das möglich bei Menschen, die gerade aus einem Kriegsland geflüchtet sind?

Erlbruch: Indem man ihnen in der Situation ein gutes Gefühl vermittelt, von Wohlfühlen, Willkommen und Sicherheit. Mit Angeboten, die auf die Sinne ausgerichtet sind, und wo sich die Frauen mit ihren Bedürfnissen wahrnehmen können, unabhängig vom Muttersein, wie zum Beispiel Yoga im Haus für Kinder oder Handmassage in den Familiencafés. Für die ukrainischen Mütter ist es vor allem auch das Zuhören, das hilft.

Wie groß ist die Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung?

Erlbruch: Sehr groß, es gab etliche Anrufe von Menschen, die gefragt haben, ob wir Angebote für Familien aus der Ukraine machen, und spenden wollten.

Welche Rolle spielt Neid?

Erlbruch: Dass Menschen, die hier leben, Hilfen für Geflüchtete infrage stellen, ist seit 2015 so und kommt immer wieder vor. Wir versuchen, unsere Angebote immer für alle Menschen offen zu halten. Bei uns bekommt die Frau aus Oberkassel ebenso die Babykleidung wie die Frau aus der Notunterkunft. Alle Angebote für Kinder sind kostenlos, egal ob die Eltern Akademiker sind oder von Hartz IV leben, und das ist eine Win-Win-Situation für alle. Vielmehr Thema ist aus meiner Sicht, dass wir Geflüchtete zweiter Klasse haben nach dem jetzigen Rechtssystem. Das ist eine Ungerechtigkeit und für andere geflüchtete Menschen sicherlich eine tiefe Kränkung.