Liu Xiaodong: Ausstellung in Düsseldorf - Die Wiedergeburt der Historienmalerei

Der Chinese Liu Xiaodong präsentiert seine figurativen Panoramabilder in der Düsseldorfer Kunsthalle und im NRW-Forum im Doppelpack.

Foto: (c) Xiaodong

Düsseldorf. In den deutschen Medien konzentriert sich das Interesse an chinesischer Kunst auf Ai Weiwei, den Medienstar der Inszenierung und Selbstinszenierung. Auf Biennalen zeigt sich das Reich der Mitte gern als blinkende, zuckende, verzaubernde Medienkunst. Jetzt tritt ein neuer Name auf und wird sogleich als Star gehandelt. Es ist Liu Xiaodong, den der Düsseldorfer Kurator Heinz Norbert Jocks als einen der wichtigsten chinesischen Künstler der Gegenwart bezeichnet. Liu (dies sein Nachname) ist sechs Jahre jünger als Ai Weiwei, aber revolutioniert die längst totgesagte Historienmalerei. Die Kunsthalle Düsseldorf und das NRW-Forum präsentieren seine weltweit erste Retrospektive und demonstrieren dabei sein großes malerisches Talent.

„Langsame Heimkehr“, so der Titel, verweist auf Peter Handkes gleichnamigen Roman von 1984. Was Schriftsteller und bildender Künstler gemeinsam haben, ist der subtile Blick auf gesellschaftliche Themen. Liu wuchs einst mit Propagandabildern auf, bevor ihm im Land der brutalen Umbrüche und Aufbrüche die Lust daran verging. Noch als Student kopierte er Cézanne. So wie der Franzose mit dem Pinsel in der Hand und den Mont St. Victoire vor Augen malte, so wollte auch der Chinese die Situationen schildern. Es geht dem Nachgeborenen nicht um einen platten Realismus der Urbanisierung, sondern um das Individuum in einer konkreten, anti-romantischen Welt.

Das Erstaunliche aber ist, wie genau er die Menschen in ihren einschneidenden sozialen Veränderungen in Panoramenbildern festhält. Seine Vorkämpfer sind Courbet und Manet. In Düsseldorf, wo einst die Düsseldorfer Malerschule Triumphe feierte, wirken die figurativen Bilder wie die Rückkehr in längst vergangene Zeiten. Sie kommen allerdings kaum auf einem hohen Kothurn daher, sondern wirken einfühlsam und von hoher malerischer Qualität. In der Kunsthalle, wo Liu Malerei zeigt, gab es seit langem nicht mehr derart brillante Landschafts- und Genrebilder.

Sie sind von einer ungeahnten Frische und Lebendigkeit. In „Tagebuch einer leeren Stadt“ (2015) hält Liu eine wunderbare Landschaft mit weißen Wölkchen im azurblauen Himmel fest, während sich die Bauern mit ihren Pferden und Ziegen auf den Weg machen. Wie ein Aperçu wirken die Ruinen im Hintergrund, die sie zum Auszug zwingen.

Während sich Ai Weiwei fotogen auf Lesbos an den Strand legte und das ertrunkene Flüchtlingskind Alan nachstellte, begab sich Liu zu den Flüchtlingen aus Syrien und teilte wortlos wie einer von ihnen ihr Leid, bevor er sie malte. Wir ließen den Flüchtling Ajmal Mayel das Bild interpretieren. Er fand die Szene sehr bezeichnend mit den jungen Leuten ohne Familien, dem Schiffswrack, den Zelten und dem Kirchturm im Hintergrund, dessen Zeiger auf 7 Uhr in der Früh verweist. In der Ferne bilden Menschen eine Schlange, vermutlich an der Essensausgabe. Sehr lapidar, sehr perfekt, sehr stimmungsvoll fing der Maler die Blicke der Betroffenen ein, die trotz aller Zweifel die Zukunft nicht aus den Augen verlieren.

Lius Ziel ist es, die leidvolle Suche nach Heimat in einer Geste, einem Augenaufschlag oder dem Sonnenstrahl auf einer Stirn einzufangen. In einer labyrinthischen Welt sucht er nach Schicksalen, Ritualen und Katastrophen, aber auf leisen Sohlen. Er klagt nicht an, man könnte ihn eher einen Klagenden nennen. Bestes Beispiel ist ein zehn Meter breites, fünfteiliges Landschaftsbild mit zwei Pferden und zwei Pferdehaltern. „Qing Zang Railroad“ (2007). Wie er den schwarzblauen Ackergaul mit der zottigen Mähne gegen den braunen Hengst absetzt, wie er die ausdrucksstarken Männer durch die Prärie ziehen lässt, einem gewittrigen Himmel entgegen, ist eine Erzählung mit offenem Ausgang, ist beste Malerei.

Das Reisen verschaffe ihm, sagt Liu, eine größere Leichtigkeit, so dass er sich voll und ganz auf das Malen konzentrieren könne. Seine Themen in der Fremde sind das Überleben und das Weiterleben. Das gilt auch für harte Themen wie die Transsexuellen in Berlin. Sasha, eine Frau, die in einem Männerkörper geboren wurde, ist als Schauspielerin tätig. Isaac ist ein Künstler aus Hongkong, der an der Bauhaus-Universität in Weimar studiert hat. Beide tauchen als Figuren im „Berlin-Zyklus“ auf. Kunsthallenchef Gregor Jansen spricht von einem „Alleinstellungsmerkmal“ des Künstlers. Gerhard Richter etwa abstrahiere seine aktuellen Themen. Bei Liu sei es eine sympathische Annäherung in einer Malerei, die hierzulande kaum gegenwärtig ist.

Die Farbe vor Ort ist ihm wichtig. So suchte er etwa auf Kuba dunkelhäutige Menschen, die zu einer Minderheit gehören. Dabei entstand „Die nackte, schwarze Maja“ (2009), eine Kombination afroamerikanischer und europäischer Züge, mit einer in zarten Pastelltönen bekritzelten Wand, die an die informelle Malerei erinnert.

Die zweite Station der Ausstellung ist das NRW-Forum. Der Besucher trifft im Eingang auf das wandfüllende Foto von Lius Studio. Dabei wird eine Matratze als Motiv der Malerei präsentiert und über eine Brücke getragen, unter der eine Autostraße liegt. Dasselbe Motiv taucht als gemaltes Bild in der Kunsthalle wieder auf. Andererseits gibt es ein Selbstporträt in Ölfarbe, dessen Replik als Foto in der Kunsthalle zu sehen ist. Auf diese Weise werden die Ausstellungen miteinander verzahnt. Mehrheitlich werden im NRW-Forum allerdings Fotos gezeigt, die zu den diversen Bildern führten. Auch einen Gag gibt es dort: Eine Malmaschine, die die Bewegungen und Motive am Rheinufer aufnimmt und in den Ausstellungsraum bringt.

Auch als Filmemacher präsentiert sich der Mann aus Peking, der an der Bewegung der unabhängigen Filmemacher („Sechste Generation“) als Schauspieler beteiligt war. Der Film „The Days“, in dem er wie seine Frau auftreten, wurde allerdings nach Erscheinen (1989) auf die schwarze Liste gesetzt. Er kam auf dem Berliner Filmfestival zur Aufführung und wird in Düsseldorf in der Black Box gezeigt.