Handwerk in Düsseldorf „So funktioniert unser Job nicht“
Derendorf. · Phillipe Carouge ist es zwar erlaubt, zu arbeiten, aber nicht direkt am Kunden. Das ist für sein Metier aber zwingend notwendig.
Philippe Carouge geht jeden Tag zur Arbeit. Er hat es ja auch nicht weit, von seiner Wohnung an der Glockenstraße zum Atelier an der Collenbachstraße. Aktuell gibt es jedoch nur einen einzigen wirklichen Grund für den Maßschneider, morgens nicht einfach im Bett liegen zu bleiben: „Ich habe doch eine Auszubildende, die hat im Mai Prüfung und näht gerade fleißig ohne Pause.“ Denn Kunden, die hat Carouge seit fast einem Jahr kaum. „Wir können zwar arbeiten, aber eben nicht direkt am Menschen. Wir dürfen als Maßschneider kein Maß nehmen, keine Anprobe, kein Abstecken. So funktioniert unser Job aber nicht.“
Stattdessen hat der 42-Jährige zuletzt viel vorproduziert, sein großes Schaufenster hübsch gemacht, Kollektionen vorbereitet, quasi alles auf Verdacht – was hätte er auch sonst machen sollen? Natürlich ist Philippe Carouge nicht naiv. Selbst wenn der auf Brautkleider spezialisierte Maßschneider in den vergangenen Monaten seiner Arbeit wie gewohnt hätte nachgehen dürfen, „sonderlich viele wären wohl nicht gekommen“.
Was ihn ungeachtet dessen wurmt: „Keiner nimmt Notiz von unserer Branche. Weder in Düsseldorf noch bundesweit haben Maßschneider eine Lobby. Die Handwerkskammer, die Innungen und die Kreishandwerkerschaft sind wahrscheinlich mit dem Tagesgeschäft ausgelastet, sodass wir als Kleinstunternehmer weitgehend auf uns alleine gestellt sind.“
Immerhin einen Bundesverband der Maßschneider gibt es, mit der Vorsitzenden hat Phillipe Carouge jetzt eine Kampagne in den Sozialen Medien gestartet (#OhneSchneiderkeineKleider), um etwas Aufmerksamkeit zu generieren. Und er merkt, dass die Schneider enger zusammenrücken, statt sich gegenseitig die letzten verbliebenen Kunden abspenstig zu machen. Carouge sei ein „grundoptimistischer Mensch“, wie er selbst sagt, er glaubt an das, was er macht, „das habe ich mir ja auch jahrelang erarbeitet. Man könnte sagen, ich kann gar nichts anderes.“ Carouge, der keineswegs Franzose, sondern waschechter Solinger ist, hat nach dem Abi das Schneiderhandwerk von der Pike auf in einem kleinen Atelier von seiner Chefin gelernt, ist dann für drei, vier Jahre durch verschiedene Ateliers getingelt, ehe er sich 2005 in Haan endlich selbstständig machte.
Zuvor hat er noch eine Zusatzausbildung als Modellmacher absolviert. Das befähigt ihn, ein von einem Designer auf dem Reißbrett kreiertes Modell als Erster anzufertigen. Mit diesem Hintergrund und den gesammelten Erfahrungen fühlte sich der Maßschneider dann vor fünf Jahren bereit für Düsseldorf. „Vorher wäre ich einer von vielen in einer solchen Modestadt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir aber sicher, dass ich wirklich etwas kann.“ Es war die richtige Entscheidung, das Geschäft lief gut – bis zum März 2020.
Jetzt zehrt Phillipe Carouge von seinen Rücklagen, hat seine Altersvorsorge angegriffen. Von der Überbrückungshilfe II konnte er im Dezember seine Rechnungen bezahlen, „aber im Januar und Februar wurden die Fixkosten ja nicht weniger“. Jetzt stößt er langsam an seine Grenzen. Am Ende des Märchens vom tapferen Schneiderlein, ist der Schneider König. „Wir Maßschneider wollen einfach nur überleben und hoffen darauf, dass nach dem Ende des Lockdowns der Kunde wieder König ist“, sagt Phillipe Carouge.