Sprayer Naegeli kann’s nicht lassen
78-jähriger Künstler soll 600 Euro Strafe zahlen. Diesmal hat er die Akademie der Wissenschaften und Kunst „verziert“.
Noch bevor er international als wegweisender Street-Art-Künstler wahrgenommen wurde, flüchtete Harald Naegeli vor den Schweizer Behörden nach Düsseldorf. Das war Ende der 70er Jahre. Seitdem ist die Landeshauptstadt zur zweiten Heimat des Graffiti-Sprayers geworden. Was sich nicht geändert hat: Seine Strich-Figuren treffen keineswegs jedermanns Geschmack und sind oft Stein des Anstoßes. Im Oktober vor zwei Jahren war der 78-Jährige mal wieder mit seinen Farbdosen unterwegs und malte Flamingos auf vier Hauswände. Unter anderem an die Akademie für Wissenschaft und Kunst an der Palmenstraße. Die erstattete Strafanzeige. Mit 600 Euro soll Naegeli zur Kasse gebeten werden. Gestern war die Verhandlung vor dem Amtsgericht angesetzt.
Mehrfach hatte sich Naegeli nachts auf den Weg gemacht, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Die Strichfiguren, die er traditionell ohne jeden Hinweis auf sich selbst hinterlässt, sind seit Jahrzehnten das Makenzeichen des „Sprayers von Zürich“. Außer auf der Akademie hinterließ er seine Flamingos auf zwei Privathäusern und auf der Esso-Tankstelle an der Bachstraße. Deren Besitzer Heiko Gabriel fand das gar nicht schlimm und erstattete auch keine Anzeige: „Meinen Kunden gefällt es.“
Ganz anders reagierten ein Hausbesitzer und die Leitung der Akademie, die ja eigentlich auch Verständnis für Kunst beweisen sollte. Eine Zeugin hatte den Schweizer beim Sprühen beobachtet und dann übers Internet „identifiziert“. Wegen der beiden „Sachbeschädigungen“ wurde die Staatsanwaltschaft in Marsch gesetzt, die schließlich die Geldstrafe verhängte. Dagegen hatte Harald Naegeli Einspruch eingelegt.
Dabei ist es rechtlich umstritten, ob die Strichfiguren des renommierten Graffiti-Pioniers tatsächlich eine Sachbeschädigung sind. Denn teilweise verkauft Naegeli seine Werke für 60 000 Euro, um das Geld dann anschließend wieder für den guten Zweck zu spenden. Trotzdem sind nur noch wenige Graffiti aus seiner Anfangszeit erhalten.
Erst vor drei Jahren hatte Naegeli mit einem Kunstwerk am Alten Hafen für erhebliches Aufsehen gesorgt. Im Rathaus wurde damals beschlossen, das Graffito dauerhaft am Rheinufer zu erhalten. Doch ein Unbekannter zerstörte es in einer Nacht- und Nebelaktion. Es war nicht möglich, die Strichzeichnung zu retten.
Gestern saß Rechtsanwalt Gerhard Schaller, der seit vielen Jahren Mandanten aus der Sprayer-Szene vertritt, allein auf der Anklagebank: „,Mein Mandant befindet sind in einer Reha-Klinik in Davos.“ Außerdem sei Naegeli nicht korrekt von Gericht geladen worden. Darum wurde der Prozess gegen den 78-Jährigen von der Amtsrichterin erst einmal auf unbestimmte Zeit vertagt.