Stadt-Teilchen Es lebe die nachhaltige Luxus-Tragetasche
Zeige mir Deine Einkaufstüte, und ich sage Dir, wer Du bist.
Düsseldorf. Wie schön, dass kirchliche Feiertage im Frühling meist auf einen Donnerstag fallen. Dann kann man den Freitag danach als Brückentag nehmen — zum sonnigen Wochenende. Wenn man dann im Stau steht, dann wenigstens nicht auf dem Weg zur Arbeit, sondern zum Vergnügen, zum Power-Shopping in the City. So gesehen und geschehen am letzten Freitag. Alles war pickepackevoll: Straßen, Parkhäuser und — Tüten.
Brückentag ist Tütentag. Nein, nicht diese überflüssigen Plastiktüten, die zu Recht ausgerottet gehören. In Düsseldorf trägt man nachhaltige Luxus-Tragetaschen. Das seh’ ich, wenn ich mit meiner alten Sporttasche auf der Kö unterwegs bin: Fast jeder hat eine Papiertasche dabei, die meisten gleich mehrere.
An den Tüten sollst Du sie erkennen. Zeige mir Deine Tüte, und ich sage Dir, wer Du bist und was Du hast: mit so’ner Bag in der Hand bestimmt was an’de Föß. Und wohin geht der Trend? Favorit der Vorwoche: die Nespresso-Tragetasche. Besser zwei. Muttertag ist auch Schwiegermuttertag.
Ebenfalls gern getragen: große Bose-Bags mit den tollen kleinen Anlagen drin. Platz drei: leuchtendes Orange von Hérmes. Abgeschlagen auf der Tüten-Hitparade: Abercrombie & Fitch. Was in Amerika out ist, kommt auch bei uns nicht mehr in die Tüte.
Luxus-Tragetaschen sind eben viel zu schade zum Wegschmeißen oder gar Müllsammeln.
Düsseldorf hat nun mal die größte Lobby für Labels. Da kommt es auch nicht auf Inhalte an. Wer sich keine Prada oder Birkin-Bag leisten kann oder will, kann stattdessen immer noch die Verpackung mit sich rumtragen. Aber bitte in der klassischen Kö-Haltung: linker Arm leicht nach oben abgewinkelt, in der Beuge baumelt dann das edle Teil mit den begehrten Initialen, LV für Louis Vuitton, das nichtlächelnde D von Dior, das verschlungene CC, nee, nicht das Düsseldorfer Carnevals-Comitee, sondern Coco Chanel! Oder MCM. Manta-Club Mettmann?
Während der letzten Vogue Fashion-Night verteilte Tiffany in seinem Shop auf der Königsallee stapelweise leere Tüten ans Volk. Menschen, die sich dort sonst schüchtern wie einst Audrey Hepburn in New York die Nase am Schaufenster platt drücken, nahmen den Laden im Sturm, rissen sich um die türkisfarbenen Papiertaschen und schlürften andächtig stilles Wasser aus gleichfarbigen Plastikbechern, als wäre es Champagner. Mythos der Marke. . .
In solch einer Power-Shopping-Nacht wimmelt die Stadt vor lebendigen Werbeträgern, die Kö bietet eine geniale Plattform fürs Modemarketing. Funktioniert übrigens auf fast allen Ebenen. Ich habe es selbst ausprobiert. Beim Trödeln auf dem Großmarkt packte ich Omas Kaffeetasse in eine Tragetasche von Franzen, meinen alten Jogging-Hosenanzug in eine Prada-Bag, das billige Haarspray wanderte in eine Tüte von Shiseido.
Ich könnte schwören, dass manche meiner glänzenden Ein-bis-zwei-Euro-Geschäfte nur deshalb zustande kamen, weil da jemand scharf auf eine Tüte war. Inzwischen bringe ich edle Tragetaschen und Kartons mit Aufdruck zu meinem Lieblings Secondhand-Laden in Bilk. Der markenkundige Inhaber freut sich drüber. Und, wetten, er verfährt ähnlich damit wie ich auf dem Großmarkt.
Tüten-Psychologie! Eine Art unterschwelliges Produktversprechen, vermeintliche Übertragung der begehrten Markenpersönlichkeit auf den Träger. Oder hat man schon mal jemand gesehen, der sich — was leicht möglich und gar nicht teuer ist — seinen eigenen Namen auf eine Tragetasche drucken lässt und damit rum rennt? Eben!
Könnte man mit Männern nicht machen, das Spielchen? Kommt drauf an. Wenn in der Carlstadt einer mit einer hochglänzenden Tragetasche des renommierten Auktionshauses Dorotheum unterwegs ist: Ist das ein Kunst- oder nur ein Tütensammler?
Vielleicht sollte man sie tatsächlich sammeln, diese begehrten Siny Bags, wenigstens die schönsten unter ihnen. Wer weiß, was die später mal wert sein werden? Designer-Handtaschen werden ja auch schon gehandelt wie Aktien.
Das NRW-Forum wird sicher bald zu einer Ausstellung toller Trend-Tragetaschen einlädt (und dazu natürlich eigene Tüten kleben).
Also: Der nächste Tütentag in Düsseldorf kommt bestimmt, so sicher wie der nächste Brückentag: 27. Mai, der Freitag nach Fronleichnam.