Kirmesgeschichten William „Menzi“ Fischer: Ein Leben auf der Kirmes und für die Kirmes

William „Menzi“ Fischer liebt seine fast 110 Jahre alte Holzrutschbahn. Und die Kinder, die er im Akkord dort hinaufzieht.

Düsseldorf. William Fischer verschränkt die Hände des fünf Jahre alten Finn vor dessen Körper, zieht den Jungen zu sich heran und springt mit einem Satz auf das Fließband. Mit sechs Stundenkilometern sausen die beiden nach oben. Als das Kind auf der Holzplattform steht, gleitet der Schausteller wieder nach unten, packt sich Mama Silke und wieder geht’s hinauf. Finn muss jetzt noch einige Stufen klettern, bevor er auf der fast 110 Jahre alten Holzrutsche wieder gen Boden schlittert. Dann stellt er sich gleich wieder an, und William Fischer — auf dem Kirmesplatz nur „Menzi“ genannt — schiebt ihn ein zweites Mal hinauf. Der 46-Jährige und seine Leute haben wohl den größten Knochenjob auf der Kirmes. Ziehen im Akkord Kinder, Mamas, Papas und angeschickerte Junggesellenabschiede in die Höhe. Aber „Menzi“ liebt es.

Foto: Melanie Zanin

Der Toboggan — eine Turmrutschbahn ganz aus Holz — wurde 1907 erbaut. Menzis Eltern kauften ihn in den 70ern. Der Junge konnte das Fließband aus Leinengewebe ohne Hilfe nach oben flitzen, als er gerade sechs war. Er erinnert sich genau, wo der Toboggan in Düsseldorf damals stand — nicht wie jetzt gleich an der Oberkasseler Brücke, sondern ein Stück weiter, wo jetzt zwei Bäume sind.

Vieles hat sich verändert. Die anderen Fahrgeschäfte sind lauter, schneller, einfach krasser geworden. Der Toboggan steht weiter hölzern da, ein Relikt, aus dessen Lautsprechern leise Bossa Nova klingt. Leben können Menzi und seine Frau davon „eigentlich nicht wirklich“. Aber mit sechs bis zwölf Volksfesten im Jahr und nebenbei einer Werkstatt, in der er allerlei Technik für andere Schausteller zusammenzimmert, kommen sie aus. „Andere kaufen sich irgendwann eine Harley — ich habe eben die Rutsche an der Backe“, sagt er lachend.

Ganzjährig wohnt das Ehepaar Fischer in seinem Wohnwagen — jetzt auf dem Rummel, sonst zu Hause in Bocholt im Gewerbegebiet neben der Werkstatt. Immer schon wollte Menzi ein Stück Grün haben, zwei Liegestühle und einen Grill. „Aber wir sind ab Ostern auf der Kirmes, kommen im November wieder — da setzt sich keiner mehr in den Garten.“ Und er ist eh von 8 bis 19 Uhr in der Werkstatt.

Jetzt bei der Rheinkirmes ist alles ganz anders. Da steht er erst um 8 Uhr auf. „Dann habe ich eine Stunde für mich. Kaffee, Nachrichten gucken. Kein Handy.“ Ab neun wird rund um die Rutsche sauber gemacht, Leuchten müssen gecheckt, Schräubchen nachgezogen werden. „Dann haben meine Angestellten frei, bis wir aufmachen.“ Er plant die nächsten Veranstaltungen, macht Tüv-Termine, seine Frau die Buchhaltung. Und dann fährt er bis in die Nacht Kinder und Erwachsene übers Fließband hinauf. Am Wochenende bis 2.30 Uhr. „Danach bin ich dann auch platt.“ Vor allem die Waden schmerzen. Aber Altbier halte ihn fit, scherzt der Schausteller. Nach dem späten Feierabend sitzen sie noch beisammen, trinken etwas, kommen runter. „Man kann ja nicht wie eine Waschmaschine einfach auf Stopp drücken ...“ Gesellschaft hilft. Man kennt und versteht sich. Von wem könnte Menzi das sonst behaupten?

Jeder Düsseldorfer sieht die Gesichter der Schausteller auf dem Rummelplatz. Aber ihr Leben ist ein Brief mit sieben Siegeln. Sie sind immer in Bewegung zwischen den Städten, aber andererseits bewegen sie sich vom Kirmesgelände in einer Stadt selten weg — zu viel Arbeit. Nachts, am Wochenende, an Feiertagen — dann, wenn andere frei haben. Getrennte Welten. „Für den Besucher ist es nur eine schöne Veranstaltung — aber hinter den Kulissen ist das normale Leben“, erklärt Menzi. In einer Familie auf dem Platz sei vor drei Tagen ein Baby zur Welt gekommen. Dafür liege die Freundin seiner Frau schwerkrank in einem Wohnwagen, während der Mann vorne verkaufe. „Während des Aufbaus haben wir eine Hochzeit gefeiert.“ Ein besonderer Mikrokosmos zwischen Rhein, Oberkassel-Altbauten und zwei Brücken.

Nie wäre er auf die Idee gekommen, zum Rummel zu gehen, wäre er nicht dort hineingeboren, sagt der 46-Jährige. Aber weil er das wurde, hat er jetzt so richtig keine Wahl mehr. „Ich könnte 1000 andere Sachen machen — ich bin handwerklich sehr begabt. Aber wenn dann Kinder kommen und haben vier Minuten ihren Spaß, winken dann noch zum Abschied — dann habe ich meinen Job gut gemacht. Und das macht mir Spaß.“ Ein Toboggan, findet er, gehört auf das Volksfest. Nicht immer nur höher und schneller. „Es muss auch einen Ruhepol geben.“

Was aus dem langfristig allerdings mal wird, steht in den Sternen. Fischers haben keine Kinder. Und eine alte Holzrutschbahn will keiner kaufen. Sein Traum ist, dass die Herstellerfirma Mack, die auch den Europa-Park betreibt, den Toboggan zurücknimmt und dort im Sommer aufbaut. „Für mich wäre wichtig, dass er erhalten bleibt.“

Die nächsten Pläne sind allerdings klar: Für Menzi geht’s ab Düsseldorf nach Luxemburg, seinem besten Kumpel Toni Traber beim Aufbau auf einem Volksfest helfen. Der Toboggan fährt in vier Lastwagen schon mal vor zum Straubinger Gäubodenvolksfest — samt Frau und Wohnwagen. Urlaube und Erholung kennt Menzi nicht. „Wir Schausteller kommen immer an letzter Stelle“, sagt er. „Das ist bei jedem hier so. Als Erstes kommt der Betrieb.“