Ausstellung im Gerhart-Hauptmann-Haus Folgen eines geheimen Pakts
Düsseldorf · Der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg unterzeichnete Vertrag zwischen Hitler und Stalin hinterlässt bis heute Spuren. Das Gerhart-Hauptmann-Haus zeigt eine Ausstellung darüber.
In Deutschland wäre so ein Bild damals kaum vorstellbar gewesen, für die Menschen im estnischen Exil war es ein Zeichen der Solidarität: 1985 hielten sie Schilder hoch, auf denen neben dem Hakenkreuz der Nationalsozialisten Hammer und Sichel der Sowjetunion prangen. Während der Zeit der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik kam von estnischen Flüchtlingen in Kanada der Impuls, am 23. August in Erinnerung an die Opfer von Nationalsozialismus und Stalinismus die Trauerfarbe schwarz zu tragen. Der „Black Ribbon Day“, der Tag der schwarzen Bänder, war geboren.
Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Am 23. August 1939 unterzeichneten das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag, dem ein geheimes Zusatzprotokoll angefügt war. Darin teilten sie die Staaten Ostmitteleuropas untereinander auf. Der Vertrag ging als Hitler-Stalin Pakt in die Geschichte ein und diente als Grundlage für den Überfall auf Polen im September 1939. Vor fünf Jahren reichten polnische, estnische und lettische Mitglieder des EU-Parlaments eine Resolution ein, in der unter anderem festgehalten werden sollte, dass der Nichtangriffspakt mitsamt dem Geheimprotokoll die Weichen für den Zweiten Weltkrieg stellte.
In der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus erzählt die Ausstellung „Riss durch Europa“ von den Folgen des Pakts für die betroffenen Länder. Ihr Name ist von der Markierung inspiriert, die deutsche und sowjetische Machthaber wie willkürlich durch die Landkarte Europas zeichneten. Das „Zusatzprotokoll für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung“ schrieb den größten Teil Polens und Litauen Deutschland zu, Ostpolen, Finnland, Lettland, Estland und Bessarabien (heute zum größeren Teil Moldawien, zum kleineren die Ukraine) sollten der Sowjetunion zufallen.
„Dieser kleine, rot ausgemalte Bereich an der Grenze markiert ein Jagdgebiet, um das es wohl einen Streit gab“, erklärt Kurator Christoph Meißner: „Wahrscheinlich hat SS-Reichsführer Heinrich Himmler es für sich beansprucht.“ Die Grenzen zwischen Polen und der Ukraine sowie zu Belarus sind heute noch die gleichen, die in dem Zusatzprotokoll beschlossen wurden.
Ein Faksimile der Karte, inklusive Riss, ist bis zum 14. Juni im Gerhart-Hauptmann-Haus ausgestellt – gleich im Eingangsbereich, in dem es um den Kontext des Zusatzprotokolls geht. Der Fokus liegt allerdings auf den Folgen dieser Vereinbarung für Ostmitteleuropa. „Für viele Osteuropäer ist der Krieg in der Ukraine ein Wiedergänger“, sagt Anke Hilbrenner, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der HHU Düsseldorf. 2019 reichte Polen eine Resolution beim Europäischen Parlament ein, in der das Land forderte, dass der Pakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion als Auslöser für den Krieg anerkannt werden soll. Demnach solle Russland neben Deutschland ein Teil der Schuld übertragen werden. In der BRD findet diese Sichtweise hingegen kaum Beachtung.
In der Ausstellung werden die politischen und gesellschaftlichen Folgen der sowjetischen und deutschen Besatzung auf bebilderten und beschrifteten Säulen gezeigt – für jedes der betroffenen Länder eine. Die Polen-Säule ist doppelt so breit wie die anderen, weil das Land unter beiden Besatzungsmächten leiden musste. Die Galerie zeigt die Staaten Ostmitteleuropas allerdings nicht nur als Opfer. Auch der Widerstand wird thematisiert. 1989 überführten beispielsweise Litauerinnen und Litauer die Leichname ihrer Angehörigen aus Deportationsorten in Sibirien, um sie in heimatlicher Erde zu begraben – oft in Koffern und auf eigene Faust. Ihre Geschichte und die von anderen Protagonisten wird ebenfalls erzählt.
Neben den Säulen stehen Kästen mit jeweils drei Din-A2-großen Holzplatten. Darauf werden Menschen vorgestellt, die in der Geschichte ihres Landes eine Rolle spielten, in Deutschland aber noch nicht bekannt sind. „Wir wollen die Perspektive Ostmitteleuropas zeigen und den Leuten eine Stimme geben“, sagt Christoph Meißner: „Wir müssen die Geschichte unserer Nachbarn zur Kenntnis nehmen, damit wir eine gemeinsame Zukunft bauen können.“ Für die Ausstellung habe man mit Experten aus den jeweiligen Ländern zusammengearbeitet. Anke Hilbrenner betont, dass es sich trotz allem um eine deutsche Ausstellung handle: „Das ist noch kein Kompromiss, sondern ein Diskussionsbeginn.“