Herr Neutag, worum geht es in Ihrem neuen Programm?
Jens Neutag im Kommödchen „Bedarf nach Ernsthaftigkeit ist groß“
Interview | Düsseldorf · Mensch und Natur – wie passt das heute noch zusammen? Das ist eine der Fragen, die der Kabarettist sich im neuen Programm stellt.
Nach der Corona-Party starten jetzt auch die Kommödchen-Gastspiele: Das erste gibt Jens Neutag. Er zeigt am Donnerstag, 26. August, sein Programm „Allein – ein Gruppenerlebnis“.
Jens Neutag: Ich erzähle eine kleine, lose verbandelte Geschichte über ein Preisausschreiben, bei dem ich eine Survival-Tour „48 Stunden im Wald“ gewonnen habe. Ich spreche die Hürden an, die es mit sich bringt, wenn man naturnah lebt, obwohl man eigentlich in der Stadt wohnt. Dabei geht es um ein paar grundsätzliche Fragen. Etwa darum, ob wir überhaupt noch bei der Natur leben können. Oder ob wir schon zu weit weg sind.
Haben Sie eine Antwort darauf?
Neutag: Es ist in dem Sinne keine Antwort. Aber es gibt auf jeden Fall eine Hoffnung, dass wir es noch schaffen. Das Programm ist sozusagen ein Kabarett mit Hoffnung, keine Weltuntergangs-Beschreibung.
Wie viel von der aktuellen Zeit greifen Sie in Ihrem Programm auf?
Neutag: Ein paar Themen sind auf jeden Fall dabei. Ich habe etwas Längeres zu Afghanistan drin. Das ist ja fast tagesaktuell. Auch andere Themen – wie Pandemie oder Klimawandel – kommen vor. Beim Thema Natur schwingt das natürlich mit.
Man spricht ja derzeit gerne von „bewegten Zeiten“. Machen diese Kabarett einfacher oder schwerer?
Neutag: Seit ein paar Jahren gibt es sehr viele Themen, die man im Kabarett besprechen kann. Insofern sind diese Zeiten dankbar. Man hat nicht das Gefühl, dass die Themen ausgehen. Man muss sich aber auch immer fragen, was man auf der Bühne besprechen kann und was doch eher etwas für die Twitter-Wolke ist.
Sind denn alle Themen, die uns derzeit beschäftigen, fürs Kabarett geeignet?
Neutag: Nicht alles ist verwitzbar. Ich habe Stellen im Programm, die nicht ausnahmslos lustig sind. Beispielsweise das, was ich über Afghanistan erzähle. Aber auch da gibt es Zusammenhänge, die ich inhaltlich-kabarettistisch betrachte. Für uns Bühnenmenschen sind die Zeiten natürlich insofern undankbar, dass dieses große Thema Corona in unseren beruflichen Alltag reingerutscht ist. Es hat uns die letzten Monate nicht unsere Arbeit ausüben lassen. Im Moment ist die ganz große Aufgabe, die Menschen wieder in die Theater hinein zu spielen. Viele sind noch verunsichert.
Wie war es für Sie, nach einer so langen Unterbrechung zurück auf die Bühne zu gehen?
Neutag: Es hat zwei Seiten. Einerseits hat man Respekt. Schon nach einer Sommerpause von sechs oder acht Wochen ist es immer wieder ein spannender Moment, sich einen ganzen Abend vor Leute zu stellen. Und wenn das nach mehr als acht Monaten passiert, ist es natürlich umso spannender. Aber auch umso schöner, wenn es funktioniert. Man merkt beim Spielen, auf was man da eigentlich verzichten musste.
Dass man die Menschen derzeit in die Theater locken muss, haben Sie angesprochen. Was ist mit denen, die kommen? Überwiegt trotz Masken und Abstand die Freude, wieder ins Theater zu gehen?
Neutag: Letztlich ist es schwer zu vergleichen. Alles, was ich bisher gemacht habe, war mit Abstand, meistens auch mit Maske. Dadurch sehe ich nicht immer, wie das ankommt, was ich spiele. Wenn ich nur die Augen sehe, weiß ich nicht, was sich darunter abspielt. Aber man merkt tatsächlich eine große Freude, dass wieder was passiert. Da ist eine große Dankbarkeit. Nicht nur wir Bühnenmenschen haben es vermisst, sondern auch das Publikum.
Ist Kabarett heutzutage noch das Gleiche wie vor der Pandemie?
Neutag: Ich habe das Gefühl, dass in den 90ern mit Aufkommen des Privatfernsehens und der Comedy-Welle inhaltliches Kabarett ein älterer Hut wurde. In den letzten Jahren hat sich das wieder gewendet, auch geprägt durch humoristische Fernsehformate, die sehr inhaltlich sind. Zum Beispiel „Die Anstalt“ im ZDF oder das, was Jan Böhmermann mittlerweile macht. Kabarett hat eine größere Bedeutung für die Menschen bekommen.
Woran liegt das?
Neutag: Ich glaube, dass die Leute einen großen Bedarf haben, Dinge zu verstehen. Nicht nur, sich über etwas lustig zu machen. Die 90er haben diesen Zynismus geprägt, dass man über den Dingen stehen und keine Haltung zeigen muss. Das ist heute weg. Die Leute wollen, dass Dinge erklärt und eingeordnet werden. Der Bedarf nach Ernsthaftigkeit ist größer, letztlich auch durch die Zeit. Die politischen Überzeugungen waren früher entweder rechts oder links. So einfach ist das heute nicht mehr.
Zum Abschluss noch einmal zum Auftritt im Kommödchen: Worauf kann sich das Publikum freuen?
Neutag: Darauf, dass ich mit wahnsinniger Vorfreude dieses Gastspiel bestreite. Ich hätte eigentlich im September meine Deutschlandpremiere des Programms dort gehabt. Die ist der Pandemie zum Opfer gefallen. Für mich ist der Auftritt jetzt so ein bisschen eine nachgeholte Premiere. Als das Ensemble des Kommödchens in den 90ern neu gegründet wurde, habe ich dort als Regie-Assistent angefangen. Für mich ist es ganz besonders, dort zu spielen. Ich sage immer gerne, es ist der rheinische Kabarett-Tempel.