Wirtschaft 40 Jahre IHK Mittlerer Niederrhein: Eine Liebe auf den zweiten Blick

Der Zusammenschluss der Kammern Krefeld, Mönchengladbach sowie der Kreise Neuss und Viersen ist für Jürgen Steinmetz eine Erfolgsgeschichte. Ein Gespräch mit dem Hauptgeschäftsführer über Meilensteine und Herausforderungen.

IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz (2.v.r.) und Präsident Elmar te Neues (r.) schneiden die Jubiläumstorte in Erinnerung an. Foto: Andreas Bischof

Foto: IHK (2) und Andreas Bischof

Krefeld. In den 1970-er Jahren folgten viele Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen dem Trend, sich kommunal neu zu gliedern und zusammenzuschließen. Geflirtet hat die Krefelder Kammer mit mehreren Gemeinden wie Aachen, Düsseldorf oder Wesel. Zum neuen Kammerbezirk wurden schließlich die kreisfreien Städte Krefeld und Mönchengladbach sowie die Kreise Neuss und Viersen zusammengefasst, berichtet Jürgen Steinmetz. Es war wohl eher Liebe auf den zweiten Blick. „Aber es war der richtige Zuschnitt, denn wir sind gut zusammengewachsen und haben eine Erfolgsgeschichte hingelegt — mit eigener Identität und selbstbewussten Gemeinden“, sagt der IHK-Hauptgeschäftsführer.

Herbert Pattberg war von 1977 bis 1983 Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein. Foto: IHK

Foto: IHK (2) und Andreas Bischof

Steinmetz belegt das mit Zahlen: „Die IHK Mittlerer Niederrhein ist heute die fünftgrößte Kammer von 16 in NRW und die 16. von 79 in Deutschland, gemessen an Mitgliederzahl und Wirtschaftskraft. 80 000 Unternehmen beschäftigen 410 000 Menschen.“ Bei der Eingliederung geholfen habe, dass die drei Kammern Krefeld, wozu Viersen gehörte, Mönchengladbach und Neuss in Größe und Bedeutung auf vergleichbarem Niveau waren. Bewusst sei nicht alles an einem dominanten Standort zentralisiert worden. Vielmehr habe man die Strukturen in den Teilregionen erhalten und gestärkt, um den regional unterschiedlichen Mitgliedsfirmen und Identitäten zu entsprechen.

Dr. Wessel de Weldige-Cremer, Hauptgeschäftsführer der IHK Mönchengladbach (von 1972 bis 1977) und anschließend Hauptgeschäftsführer der fusionierten IHK Mittlerer Niederrhein (von 1977 bis 1995). Foto: IHK

Foto: IHK (2) und Andreas Bischof

Jürgen Steinmetz, IHK- Hauptgeschäftsführer über den Zusammenschluss zur IHK Mittlerer Niederrhein

Foto: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv

„Größer sollte der Kammerbezirk aber auch nicht sein — schon wegen der Zielsetzung“, findet Steinmetz. Ganz abgesehen davon, dass er im Jahr 45 000 Kilometer im Auto allein im Bezirk zurücklegt. Und stets gebe es Verbesserungspotenzial. So wolle man die Backoffice-Bereiche stärken, das heißt, zentrale Aufgaben bündeln, ohne dabei den Service für die Mitglieder vor Ort einzuschränken. Die fänden es gut, wenn ihre Mitarbeiter Seminare oder Prüfungen ortsnah vorfinden. Steinmetz weiß um die latente Kritik an der IHK, vor allem kleiner Unternehmen, die sich über Zwangsmitgliedsbeiträge vermeintlich ohne Gegenleistung beklagen. Die Kritik hält Steinmetz für eine Fehleinschätzung. 39 Prozent der Mitglieder seien von Beiträgen befreit, zum Beispiel in den ersten drei Jahren oder weil die Erträge zu niedrig sind. Ansonsten betrage der Grundbeitrag 44 Euro und der Durchschnittsbeitrag 294 Euro. „Dafür profitieren unsere Mitgliedsfirmen in hohem Maß von unseren Angeboten“, sagt er.

Die jährlich 16 Millionen Euro aus den Beitragseinnahmen seien gut angelegt. In den vergangenen 40 Jahren wurden zum Beispiel mehr als eine halbe Million Prüfungen durchgeführt. „Wir verstehen uns als Solidargemeinschaft, denn von hoheitlichen Aufgaben wie Ausbildung und Prüfung profitieren alle. Wer nicht ausbildet, zahlt trotzdem mit“, das hält Steinmetz für gerecht. Die duale Ausbildung sei ein Garant für den wirtschaftlichen Erfolg von Deutschland, das um das mit der Hochschule entwickelte „Krefelder Modell“ sogar international beneidet werde.

Eine weitere wichtige Aufgabe sieht der frühere Neusser Sozialdezernent in der Interessenvertretung und Politikberatung. „Wir erklären Bundestagsabgeordneten, was in den Bundesverkehrswegeplan gehört, kümmern uns um Erbschaftssteuergesetz und Bildung und ermahnen die Stadt, neue Gewerbeflächen auszuweisen und zu finanzieren. Wer macht das sonst?“ Schließlich könne sich jedes Mitglied am umfangreichen Service-Angebot bedienen. Allein der Katalog für Seminare umfasst 234 Angebote. Hinzu kommt Beratung in Rechtsfragen, beim Internetcheck, bei der Azubi-Suche, zur Energieersparnis und beim Export. Die Zufriedenheitsanalyse sei ein guter Maßstab: 80 Prozent der Mitglieder beurteilten zuletzt die Dienstleistungen mit gut oder besser.

„Es gibt Daueraufgaben, die sich nicht ändern“, sagt Steinmetz. Dazu gehört die Optimierung der Verkehrsinfrastruktur auf Straße und Schiene. „Beim Rheinhafen sind wir richtig unterwegs. Die zu Unrecht kritisierte Logistikbranche boomt und liefert sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.“ Willkommenslotsen helfen Betrieben bei der Einstellung von Flüchtlingen und Asylsuchenden. „Ich möchte auf eine lebendige Innenstadt und Lebensqualität nicht verzichten“, unterstützt Steinmetz die vielen Bauaktivitäten in der City und rät dem Einzelhandel, sich online aufzustellen.00

Die Herausforderung dieser Zeit sei die Digitalisierung. Die IHK bemühe sich, dabei Vorbild zu sein. Vom Rechnungswesen über die Prüfungsanmeldungen bis zum Archiv sei alles digitalisiert. Und für den Mangel an Fachkräften gebe es nur eine Antwort: „Ausbildung.“