Alte Samtweberei: Kleinod statt Schandfleck
In der Alten Samtweberei überzeugen sich 60 Interessierte vom Nachbarschaftsprojekt in der Südweststadt.
Südwest. Die Stadtspaziergänge der Grünen finden meist viel Anklang bei der Bevölkerung. So auch jetzt, als gut 60 wissensdurstige Bürger einen Blick hinter die Kulissen der mit zehn Millionen Euro revitalisierten denkmalgeschützten Alten Samtweberei warfen. Das Nachbarschaftsprojekt in der Südweststadt steht für eine moderne Art des Wohnens, die weit über Krefelds Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit sorgt. Gefördert werden nicht nur die Gemeinwesenarbeit, sondern auch die Quartiersentwicklung.
Projektleiterin Monika Zurnatzis von der Gesellschaft Urbane Nachbarschaft Samtweberei, einer Tochter der Montag Stiftung, informierte über die vielfältigen ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Samtweberei und außerhalb mit Schulen, Kitas und anderen Organisationen. Unterstützt wurde sie von Rainer Gropp, Mitglied des Viertelrats, dem Bewohner und Anwohner des Viertels angehören.
Insgesamt 150 Menschen arbeiten und leben in dem für Krefeld neuen Nachbarschaftsprojekt zwischen Garn-, Lewerentz- und Tannenstraße. Der Büro-, Wohn- und Freizeitkomplex besteht aus dem Pionierhaus, das 25 Unternehmen beheimatet. Das Torhaus wird von Architekten, Beratern und dem Stadtmarketing genutzt, das von Beginn an in das Projekt involviert ist.
Im „Denkmal“ sind alle 37 Wohnungen vermietet, wobei Terrassen und Gemeinschafträume gemeinsam genutzt werden. „Hier leben Alleinerziehende und junge Familien neben Senioren — eine bunte kulturelle Mischung“, sagt Zurnatzis und verweist darauf, dass ähnliche Projekte der Stiftung in Bochum, Wuppertal und Halle an der Saale ebenso beliebt sind. Die Warteliste sei endlos lang. „Kein Wunder bei den günstigen Mieten“, bemerkt ein Gast. Pro Quadratmeter fallen acht Euro an, mit Wohnbezugsschein nur 5,25 Euro. Aus den Mieteinnahmen finanziert sich das Projekt schon jetzt mit jährlich 60 000 Euro aus eigenen Mitteln. Zurnatzis: „Wir investieren in Steine, um das gemeinsame Zusammenleben zu initiieren.“ Was einst ein Schandfleck war, sei heute ein Kleinod.
Das Besondere: Alle Anwohner haben sich verpflichtet, 2500 Stunden gemeinnütziger Arbeit pro Jahr für das Samtweberviertel zu leisten. Bei den ansässigen Firmen steht das sogar im Mietvertrag. Aber auch die Mieter der Wohnungen halten sich daran. „Wir müssen sie sogar bremsen, damit sie nicht überziehen“, sagt Zurnatzis. Gropp bespricht im Viertelrat mit den Anwohnern die Initiativen — „oft auch kontrovers“. Viele Initiativen konzentrieren sich auf die im letzten Jahr für eine Million ausgebaute Shedhalle im Hof. Daneben steht ein Bauwagen mit Spielzeugen, der an drei Tagen in der Woche geöffnet ist. Eine Werkstatt schließt sich an, in der Geräte, Werkzeuge und Bauholz auf ihren Einsatz warten. Dort finden Workshops für Jugendliche statt und werden Fahrräder auch für und von Nachbarn repariert.
„Die Bewohner bringen sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten ein“, berichtet Zurnatzis. In einer Ecke der Shedhalle steht eine Tauschbox für Bücher, daneben eine andere für den Tausch von Spielzeug und sonstigen Alltagsgegenständen. Davor haben die Anwohner nach längerer Diskussion eine Boule-Bahn geschaffen. Außerhalb der Halle gibt es einen kombinierten Volleyball- und Tennisplatz, der sich mit Hilfe von zwei kleinen Toren auch in ein Fußball- oder Hockeyfeld verwandeln lässt. Mit Unterstützung eines Gärtners unterhalten die Anwohner einen Nutzgarten.
Zentraler Treffpunkt der Bewohner und Nachbarn ist neben der Shedhalle das Café Lentz, das an vier Tagen von einer Vereinsinitiative betrieben wird und an drei Tagen für Kulturveranstaltungen, Vorträge, Workshops oder kleinere Feiern genutzt wird. Zu den benachbarten Kirchengemeinden, Schulen und Kitas werden Kontakte auch in deren Räumen gepflegt. Nur abends geht ein Rolltor an der Seidenweberei runter, damit bei den Anwohnern Ruhe einkehrt. Ratsfrau Heidi Matthias ist begeistert: „Ein tolles Projekt und dazu eines, das von allen Fraktionen unterstützt wird. Davon brauchen wir mehr in Krefeld.“