Krefeld City-Krebse wollen Behinderten Gehör verschaffen
Zwei Krefelder Gruppen haben sich zusammengetan und wollen mit Hilfe der Landesinitiative „Gut Leben in NRW“ etwas verändern. Dazu gehören mehr Mitsprache und Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Krefeld. Einen Effekt hat die Landesinitiative „Gut Leben in NRW“ vor Ort in Krefeld schon gehabt: Weil in dem Projekt nur noch ein Platz zu vergeben war, haben sich Cityroller und Krebse, zwei Krefelder Gruppen, in denen sich Menschen mit Behinderung organisiert haben, unter die Lupe genommen, Gemeinsamkeiten gefunden und sich als „City-Krebse“ um den Platz beworben. Sie haben ihn bekommen. „Wir wollen etwas verändern“, sagt Mitglied Jeanette Merkel. „Wir wollen mehr Mitsprache und Mitgestaltungsmöglichkeiten.“
Wie es ist, wenn man betroffen ist, aber das Gefühl hat, dass andere über einen entscheiden, hat Merkel schon früh erfahren. Nach ihrem Hauptschulabschluss wollte sie 1995 eine Ausbildung beginnen. Das Arbeitsamt schickte sie in eine Berufsfindung. Heraus kam eine Eignung als Schneiderin oder Bürokauffrau, doch der Weg in den Job war immer noch versperrt. Jeanette Merkel sollte vorher die Handelsschule absolvieren. „Ich galt als noch nicht ausgereift“, erzählt sie. „Ich wollte das nicht, aber ich wurde darauf festgenagelt. Ich hatte keine Mitbestimmung.“
Mit ihrer Grunderkrankung — Merkel ist seit ihrer Geburt Rheumatikerin — habe man ihr vieles nicht zugetraut. Floristin, ein Wunschberuf, schied aus: zu feucht, zu viel stehen, zu kleine Hände. Buchhändlerin kam nicht in Frage: Kistenschleppen sei die Hauptaufgabe eines Lehrlings, hieß es. Merkel hat früh angefangen, sich einzumischen und sich Gehör zu verschaffen. Was ihr immer und an dem Projekt „Gut leben in NRW“ besonders wichtig ist: „Wir werden gefragt. Nur weil wir körperlich eingeschränkt sind, sind wir ja nicht blöd in der Birne.“
Ziele und Vorstellungen wollen die City-Krebse gemeinsam entwickeln und vertreten. „Uns ist es zu verdanken, dass der Behindertenfahrdienst in den Haushaltsberatungen nicht komplett gestrichen wurde“, verweist Merkel auf einen Erfolg der Einmischung in die Kommunalpolitik. „Durch unsere Anwesenheit signalisieren wir schon: Vergesst uns nicht.“ Freizeit, Barrierefreiheit und Arbeit sind die Themen der City-Krebse.
„Wir werden schnell in Werkstätten abgeschoben“, sagt Merkel. Das soll sich ändern — und es geschieht schon. Werkstätten sollen für Menschen, die qualifiziert werden können, eine Übergangslösung sein. Das hält Merkel für sinnvoll. „Sonst gibt es keinen Platz in Werkstätten für die, die ihn wirklich brauchen.“
Was Barrierefreiheit angeht, sagt sie, „haben wir gemerkt, wie viele Hindernisse es gibt, wenn wir raus wollen“. Freizeit müsse sorgfältig organisiert werden, „aber es gibt auch viel, was wir selbst machen können — mit und ohne Assistenz“. Verbesserungsbedarf gibt es bei Bussen und Bahnen. Die alten Straßenbahnen könnten viele Behinderte nicht nutzen, aber auch bei neuen sei es schwierig: Bahnfahrer achteten nicht immer darauf, dass der mittlere Bereich für Rolli- oder Rollatornutzer frei bleibe. „Wir müssen uns dann mit den Leuten anlegen“, sagt Merkel. Nicht alle Fahrer führen die Haltestellen richtig an. Ihr Fazit: „Bus- und Bahnfahrer könnten ihren Service verbessern.“
Fehlkonstruktionen finden und kritisieren die Citykrebse auch an anderer Stelle. Weil die Anhebung der Ostwall-Haltestelle auf K-Bahn-Einstiegsniveau versäumt wurde („Die haben die Umrüstung vermasselt“) und es deshalb keinen barrierefreien Einstieg gibt, werde Rollifahrern empfohlen, die Stadtbahn nach Düsseldorf in Fischeln-Grundend zu besteigen, berichtet Merkel.
Eine Zumutung, sagt sie, und ergänzt: „Die Fahrpläne sind nicht angepasst.“ Das Bockumer Badezentrum erreiche man aus der Innenstadt zwar gut — sofern ein Niederflurbus die Route befahre —, aber im Schwimmbad gibt es Defizite: Es gebe keinen doppelten Handlauf, „und ein Rollstuhlfahrer hat gar keine Chance“.
„Richtig gut“ zugänglich sei der Zoo. „Aber ins Schmetterlingshaus zu kommen ist auch schwierig.“ Die Königsburg ist für Menschen, die nicht so mobil sind, völlig unerreichbar: „Da kommen wir gar nicht rein, da gibt es weder Rampe noch Sondereingang.“ Dass die Krefelder Rathäuser nicht barrierefrei sind, wurde in der Vergangenheit schon oft kritisiert. „Aber selbst wenn es Aufzüge gibt, sind diese Wege oft nicht gut ausgeschildert“, sagt Merkel. Manchmal könnten Rollifahrer an Hintertüren klingeln. „Bei unserem Glück regnet es an dem Tag und wir werden pitschenass“, scherzt sie. In der Stadt seien Eingänge zu vielen Geschäften zu schmal. „Wir wollen Restaurants und Läden abklappern und nachfragen, ob die Türen nicht verbreitert werden können“, erzählt Merkel. „Es kann doch nicht sein, dass Rollstuhlfahrer draußen bleiben müssen.“ Das kann auch passieren, wenn sie in ein großes Kaufhaus am Neumarkt wollen: Die Türen seien nur mit Kraft zu öffnen, eine Automatik gebe es nicht, kritisiert die Gruppe.
Die Absenkung der Bürgersteige ist ein weiteres großes Thema für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer. „Es würde schon helfen, wenn große Löcher wenigstens provisorisch geschlossen würden.“ Immerhin: 34 Fußgängerüberwege an zehn Kreuzungen in der Krefelder Innenstadt werden jetzt mit Landesmitteln umgebaut.
Die Liste der City-Krebse soll nicht für die Schublade sein: Am 17. Oktober gibt es ein Treffen auf Landesebene, auf dem erste Ergebnisse der Gruppen ausgetauscht werden.