Jan Dieren: Ein prägendes Thema der letzten zwei Jahre waren steigende Lebensmittel- und Energiepreise. Mit dem Kurzarbeitergeld und den Energie- und Strompreisbremsen haben wir Massenentlassungen in den Betrieben verhindert. Das war nötig und wirft die grundsätzliche Frage auf, wie wir als Gesellschaft mit solchen Krisen besser umgehen lernen können. Als zuständiger Berichterstatter für die betriebliche Mitbestimmung und den Wandel der Arbeitswelt hat mich aber auch beschäftigt, wie wir für mehr Demokratie in der Arbeitswelt sorgen können. Die Arbeitswelt hat sich durch Automatisierung, Teamarbeit, Lean Management, Künstliche Intelligenz und vieles mehr stark gewandelt. Was sich in den letzten fünfzig Jahren hingegen kaum weiterentwickelt hat, sind die Mitbestimmungsrechte der Kolleginnen und Kollegen. Wir wollen das demokratische Recht auf Mitbestimmung auf die Höhe der Zeit bringen. Das stärkt die Demokratie und hilft uns dabei, die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren im „Halbzeit-Interview der Legislaturperiode „Dem Frust der Menschen die Grundlage entziehen“
Herr Dieren, was hat Sie in der Legislatur bisher thematisch am meisten beschäftigt?
Wo fangen wir bei der Transformation Deutschlands jetzt eigentlich genau an? Bei einer maroden Brücke in Uerdingen, deren Erneuerung zwölf Jahre dauern soll? Bei Belastungen für die Krefelder Unternehmen durch hohe Energiepreise und einer ausufernden Bürokratie? Bei schlechter digitaler Infrastruktur?
Dieren: In einem so tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel wie heute hängt vieles miteinander zusammen. Es gibt deshalb nicht eine Stelle, an der wir beginnen und dann die nächste Perle auf die Kette fädeln können. Mir ist bei dieser Diskussion vor allem eines wichtig: Politisch können wir Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben. Wirklich gestalten können wir den Wandel aber nur ganz konkret, vor Ort in den Kommunen, in den Unternehmen und Vereinen in diesem Land. Dort sind nämlich die vielen Millionen arbeitenden Menschen, die Wandel wirklich machen. Jede Idee von Transformation, die erfolgreich sein will, muss deshalb dort ansetzen und die Beschäftigten in die Lage versetzen, diesen Wandel selbst zu gestalten.
Die Ampel bohrt dicke Bretter, bekommt aber selten gute Kritiken. Sagen Sie: Nie wieder Ampel? Oder ist das ein Bündnis, mit dem sich gut arbeiten lässt?
Dieren: Wir stehen heute vor nie dagewesenen Herausforderungen. In dieser Situation finden sich drei Parteien in der Regierung zusammen, die unterschiedliche Programme und Interessen vertreten. Dass es dabei zu Auseinandersetzungen kommt, ist nur folgerichtig. Am Ende ist entscheidend, ob das politische Ergebnis im Interesse der Menschen ist. Das sollte der Maßstab sein, um unsere Ergebnisse der letzten zwei Jahre und eine zukünftige Zusammenarbeit zu messen.
Wie oft waren Sie/sind Sie in Krefeld – und was erwarten Ihre Wähler von Ihnen, wenn Sie denen begegnen?
Dieren: Wenn nicht Sitzungswoche in Berlin ist, bin ich hier in der Region unterwegs. Wie oft ich dabei in den letzten zwei Jahren zwischen Moers und Krefeld gependelt bin, kann ich nicht zählen. In letzter Zeit ist mir dabei häufig eine große Sorge vor dem Erstarken des Rechtsextremismus und der AfD begegnet. Viele Menschen in Krefeld sind zudem unsicher, wie sie mit steigenden Preisen zurechtkommen sollen. Sie haben den berechtigten Anspruch, damit nicht alleingelassen zu werden.
Hand aufs Herz: Was haben Sie für Krefeld und diese Region im Deutschen Bundestag erreicht? Was kurzfristig konkret? Wofür braucht es Geduld, woran also arbeiten Sie? Zum Beispiel an mehr Geld für den ÖPNV zwischen Moers und Krefeld?
Dieren: Die Preisbremsen haben für Sicherheit und Planbarkeit auch in unserer Region gesorgt. In Krefeld haben 2021 knapp 6000 Menschen und auch 2022 noch über 1000 Menschen das Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen. Hier arbeiten über 20 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Für sie alle bedeutet die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro mehr Geld im Portemonnaie – auch wenn das noch lange nicht ausreicht. Weitere 10 000 Menschen können ihre soziale Lage durch die Einführung des Bürgergeldes verbessern. Neben diesen bundesweiten Projekten gehört es auch zu meiner Aufgabe als Wahlkreisabgeordneter, Fördermittel für Krefeld zu gewinnen, wie zum Beispiel die 650 000 Euro für die Sanierung des Kirchturms der evangelischen Michaelskirche in Krefeld-Uerdingen. Günstiger und gut ausgebauter Nahverkehr bleibt ein wichtiges Projekt, am Beispiel des 49-Euro-Tickets hat man aber auch gesehen, dass wir bei solchen Reformen einen langen Atem brauchen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung hier in Krefeld und der Region vor Ort?
Dieren: Krefeld und die gesamte Region stecken mitten in der Transformation. Das ist eine große Aufgabe, denn knapp 20 Prozent der Menschen hier arbeiten im verarbeitenden Gewerbe und sind für ein Fünftel der Wertschöpfung verantwortlich. Wenn uns die Transformation gelingen soll, müssen wir mit allen daran Beteiligten eine gemeinsame Richtung finden: Mit Gewerkschaften und Unternehmen, den Kommunen, Vereinen und Verbänden. In den letzten zwei Jahren habe ich erleben können, dass bei vielen in Krefeld und in der Region eine große Bereitschaft dazu besteht. Das stimmt mich zuversichtlich.
Wie gefährdet sehen Sie die Demokratie durch das Erstarken der AfD? Und wie sollte man als Politiker im Bundestag und im Krefelder Stadtrat mit dieser Partei umgehen?
Dieren: Die AfD wird in demokratischen Wahlen gewählt, aber das macht sie noch lange nicht zu einer demokratischen Partei. Die Partei und ihre Mitglieder, das erlebe ich im Bundestag und auch hier vor Ort, nutzen die Mittel und Wege der Demokratie, um diese Demokratie anzugreifen. Im Schafspelz einer demokratischen Partei hetzen sie täglich gegen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Dieses Vorgehen hat ein historisches Vorbild in Deutschland. Leider findet es auch heute einen Nährboden im Frust vieler Menschen, die ihre Interessen nicht angemessen politisch vertreten sehen. Widersprüchlich ist dabei, dass dieselben Menschen die Hauptleidtragenden der Politik der AfD wären. Diesem Frust können wir deshalb nur die Grundlage entziehen, indem wir konsequent die Interessen ebenjener Menschen vertreten. Das heißt, wir müssen unsere Politik an den vielen arbeitenden Menschen ausrichten und an denjenigen, die auf unsere Solidarität angewiesen sind. Dabei steht auch und insbesondere die Sozialdemokratie in der Verantwortung.
Treten Sie bei der nächsten Wahl eigentlich wieder an?
Dieren: Meine Partei entscheidet darüber, ob sie mich erneut als Kandidaten aufstellt. Wir sind allerdings gerade erst auf der Hälfte der Legislaturperiode und ich habe noch einiges vor, sowohl in Berlin als auch für die Menschen hier in Moers, Krefeld und Neukirchen-Vluyn.