Fachbereichsleiter Jürgen Maas: „Schullandschaft steht vor gewaltigen Umbruch“
Fachbereichsleiter Jürgen Maas sieht vor allem finanzielle und personelle Fragen bei Inklusion und Zuwanderung ungeklärt.
Krefeld. Die Ablehnungsrate bei den Gesamtschulen gibt Anlass zum Nachdenken, die Realschulen haben stark zugelegt, bei den Hauptschulen besteht großer Veränderungsbedarf. Darüber spricht die WZ mit Schul-Fachbereichsleiter Jürgen Maas.
Herr Maas, inwieweit werden die jüngsten Anmeldezahlen den Schulentwicklungsplan beeinflussen?
Maas: Für eine genauere Analyse fehlen zurzeit die Datengrundlagen, da wir aktuell nur die reinen Zahlen kennen. Die Angaben zu den Schulformempfehlungen und Wohnorten der aufgenommenen Schüler erhalten wir erst in den nächsten Wochen. Ob jemand vor Aufnahme an seiner Schule vorher woanders abgelehnt wurde, können wir leider gar nicht erkennen. Schulrechtlicher Handlungszwang besteht aktuell nirgendwo, dennoch geben insbesondere die Entwicklung bei den Hauptschulen und die Ablehnungsrate bei den Gesamtschulen Anlass zum Nachdenken. Hier werden wir Lösungen schaffen müssen, sobald wieder finanzieller Handlungsspielraum besteht.
Und bei den Gymnasien?
Maas: Bei den Gymnasien haben wir einen eindeutigen Trend zu den geografisch außerhalb des Innenstadtbereiches gelegenen Schulen. Dagegen können nun schon seit mehreren Jahren lediglich zwei der vier Innenstadt-Gymnasien, nur zwei Eingangsklassen bilden. Das ist — insbesondere auch im Hinblick auf ein differenziertes Oberstufenangebot — keine gesunde Größe. Wir werden das aufmerksam weiter beobachten und haben mit der Oberstufen-Kooperation von Arndt und Fichte im aktuellen Schuljahr schon eine erste Stärkungsmaßnahme vornehmen können.
Wie erklären Sie sich den „Boom“ an den Realschulen?
Maas: Ob man von einem „Boom“ sprechen kann, bleibt abzuwarten. Aber in der Tat sind die Zahlen gegenüber dem Vorjahr signifikant gestiegen. Dies korrespondiert zum Einen mit einem stärkeren Anmeldejahrgang und geringeren Aufnahmekapazitäten bei den Gesamtschulen, die im Zusammenhang mit der Inklusion seit diesem Jahr kleinere Klassen bilden. Zum Anderen aber haben die Realschulen selber gesagt, dass sie sich in der Lage sehen, in verstärktem Maß Kinder mit Hauptschulempfehlung aufzunehmen und differenziert zu unterrichten. Sollte dieses zutreffen, würde es mich sehr freuen und die Bildungsregion Krefeld deutlich bereichern — allerdings nur dann, wenn die Kinder auch bis zur Klasse 10 auf dieser Schulform bleiben können und nicht nach der Orientierungsstufe (Klassen 5 und 6) die Realschule verlassen müssen. Da die Schulleitungen und die für Krefeld zuständige Schulaufsicht aber selber von einer „Kultur des Behaltens“ sprechen, bin ich hier sehr zuversichtlich.
Wie viele Anmeldungen inklusive Nachzüglern haben die beiden Hauptschulen aktuell?
Maas: Insgesamt knapp 80. Wir sind gerade dabei, die Eltern anzuschreiben, die sich im regulären Anmeldeverfahren nicht gemeldet haben. Erfahrungsgemäß kommen aus diesem Personenkreis noch etwa 20 Nachmelder für die Hauptschulen dazu.
Wie geht es in den Hauptschulen, die seit längerem um ihre Auflösung bitten, weiter?
Maas: Wir brauchen hier dringend Veränderungen. Sobald die Stadt wieder finanziellen Handlungsspielraum hat, muss eine Alternative für diese Schulform her. Bis dahin müssen wir alles daransetzen, dass es nicht zu einer weiteren Schließung kommt, denn der Verbleib einer einzigen „Rest-Hauptschule“ erscheint untragbar. Die Hauptschulen sind Pioniere im Bereich der Inklusion und auch bei den Zuwanderern ohne Deutschkenntnisse. Hier darf es nicht zu einer Stigmatisierung kommen, und es ist die Solidarität der anderen Schulformen gefragt, die in Krefeld zum Glück gegeben ist und immer stärker zum Tragen kommt.
Gibt es etwas Neues zum Thema Sekundarschule? Woran kann es liegen, dass niemand sie will?
Maas: Die Erfahrung in anderen Städten zeigt, wie schwierig es ist, die Eltern von den Vorzügen der neuen Schulform zu überzeugen. Überall dort sind die Sekundarschulen wegen zu geringer Anmeldezahlen nicht zustande gekommen. Sekundarschulen haben zwar etwas bessere Bedingungen als die anderen Schulformen, die etablierten Schulen sind aber verständlicherweise skeptisch, denn eine einfache Umwandlung gibt es nicht: Die alten Schulen müssen auslaufen, die neuen von unten aufgebaut werden. Das ist anstrengend und schwierig. Und niemand kann den Kollegen garantieren, dass sie in der neuen Schule alle unterkommen.
Thema fünfte Gesamtschule: Wäre eine eventuelle Elternbefragung jetzt unabdingbar?
Maas: Eine Elternbefragung wäre nach derzeitigem Stand für eine solche Schulgründung in der Tat Voraussetzung. Die Regierungspräsidentin hat wissen lassen, dass die Bestätigung der Finanzkraft unabdingbar für eine Genehmigung ist. Da gibt es keinen neuen Sachstand.
Wie würden Sie den jetzigen Zustand der Krefelder Schullandschaft beschreiben? Was ist Ihre größte Sorge?
Maas: Die Schullandschaft steht — nicht nur in Krefeld — nach dem NRW-Schulkompromiss von 2011 vor einem gewaltigen Umbruch. Die ungeklärten finanziellen und personellen Fragen im Zusammenhang mit der Inklusion und der Zuwanderung kommen hinzu. In diesem Kontext sind alle Schulen vor massive Herausforderungen gestellt, und ich kann wirklich nur den Hut davor ziehen, was dort geleistet wird. Sobald wieder finanzielle Spielräume bestehen, müssen wir als Stadt weitere schulorganisatorische Weichen stellen. Aber das allein wird nicht reichen: Das Land muss Personal und finanzielle Ressourcen zufüttern.