Heimatgeschichte: Dienstags steigen sie in den Keller
Das Gedächtnis des Stadtteils: Der Arbeitskreis Heimat des Bürgervereins Fischeln sortiert und durchforstet alte Schriftstücke.
Fischeln. Karl-Wilhelm Reiners und Michael Pingel sind die Jüngsten in der illustren Kellerrunde. Titel und Beruf spielen im Souterrain des Fischelner Rathauses keine Rolle. Hier hat der Arbeitskreis des Fischelner Bürgervereins sein Domizil, dessen Mitglieder das Interesse an Heimatgeschichte verbindet.
Durch den Hintereingang im Rathausgarten findet man sie. Im Flur dokumentieren Bilder historische Straßenansichten, im Schaukasten liegen alte Schriftstücke. Im Archivraum selbst sitzen neben Reiners und Pingel Manfred Adam, Werner Baaken und Wolfgang Müller am Tisch, auf dem neben Papieren, Büchern und Kisten ein Computer steht. Die Heimatfreunde pflegen ihre Bestandslisten seit einigen Jahren auch digital. Alle zwei Wochen treffen sie sich, immer dienstags. „In jeder geraden Woche“, sagt Reiners schmunzelnd. „Wenn die roten Tonnen draußen stehen“, sagt Müller. Aus dem Rhythmus zu kommen ist also schwer.
Reiners und Pingel haben mit „Arbeitsbeginn“ vor eineinhalb Jahren eine besondere Aufgabe übernommen: Sie wollen die Geschichte der Fischelner Kneipen möglichst lückenlos darstellen. Dafür durchforsten sie Anzeigen in alten Zeitungen, Jubiläumshefte von Vereinen, Festschriften und Broschüren, in denen die örtlichen Gastronomen inseriert haben. „Wir sprechen auch alte Fischelner an, die sich noch an Kneipen und Wirte erinnern“, sagt Reiners.
Eine wertvolle Quelle und zugleich ein Schatz des Archivs: Fischelner Sonntagsblätter, die sorgsam gebunden und chronologisch sortiert im Schrank stehen. Vorsichtig nimmt Michael Pingel ein nicht gebundenes Einzelexemplar in die Hand, vergilbt und ein wenig brüchig. Es ist ein Original vom 18. Februar 1894, 15. Jahrgang des „Blatt zur Belehrung, Erbauung und Unterhaltung“. „Uns fehlen die Jahrgänge aus Kriegszeiten“, sagt Manfred Adam über die Sammlung, über die selbst das Stadtarchiv nicht verfügt.
Mitglieder des Arbeitskreises
Bei den Recherchen stoßen die Heimatfreunde immer wieder auf eigene Familiengeschichte oder verlieren sich in Artikel wie den über den Bau des Hochhauses Königshof. Wenn es in dem Tempo weitergehe, brauchten sie für die Recherche zu ihrer Kneipen-Geschichte noch zwei Jahre, sagt das Duo.
Nicht um Kneipen, sondern um die Geschichte Fischelner Gehöfte kümmert sich Manfred Adam. Fast ein Privileg, denn Adam sei schließlich ein Zugezogener, ein „Okolierter“, wie es Wolfgang Müller ausdrückt. „Der kommt auch nicht voran“, ergänzt er lachend. Seit Dezember 2014 ist Adams am Ball.
Der Ton im Keller ist rau und herzlich, das Anliegen der Männer ernst. Viele Unterlagen würden von Menschen gebracht, die Sorge haben, dass die Papiere weggeworfen werden, erzählt Adam. Eigentümer suchen im Archiv nach Hinweisen auf die Geschichte ihres Hauses, Enkel spüren der Biographie ihres Großvaters nach, der in Kriegszeiten in Fichtenhain interniert und auf einem Bauernhof gearbeitet hat.
Oft können die Fischelner Heimatforscher helfen, „und manchmal bedanken sich die Menschen sogar dafür“, sagt Adam leicht sarkastisch.
1998 ist das Heimatarchiv gegründet worden, um die historischen Dokumente zu erhalten — unter anderem von Wolfgang Müller. Alles wird ins Findbuch eingetragen und parallel in eine Excel-Datei. Seitdem kann nach Stichworten gesucht werden.
Zweimal hat das Archiv Ausstellungen gemacht, seine Türen auch zum Rathaus- oder Straßenbahnjubiläum geöffnet. „Viele Fischelner haben lange nicht gewusst, dass wir hier im Rathauskeller sitzen.“ Das hat sich geändert. Regelmäßig kommen jetzt Menschen zur Kellertür hinein, wie zuletzt die ältere Dame, die nach Fotos vom Haus ihrer Großeltern suchte. „Ich kenne hier jede Ecke“, sagt sie und betrachtet glücklich die gerahmten Fotos. Sie erinnert sich lebhaft an ihre Schulzeit am Marienplatz: „Wir durften nicht auf den Schulhof der katholischen Grundschule, obwohl es keinen Zaun gab.“ Dennoch hat die Königshoferin Fischeln ins Herz geschlossen — und nach Jahrzehnten einen Traum verwirklicht. „Ich bin wieder nach Fischeln gezogen, in eine Wohnung mit Blick auf den Marienplatz.“
Obwohl es im Rathauskeller feucht ist, sind die Heimatforscher dort zufrieden — umso mehr als die Erhebung von Mieten für die Nutzung städtischer Gebäude zurzeit vom Tisch ist. „Das“, sagen sie, „könnte für uns eng werden.“ Und sie setzen darauf, dass am Ende der Diskussion um die künftige Nutzung nicht ein Verkauf des historischen Gebäudes steht. Andere Räume anzumieten, sagt die Runde, sei kaum zu finanzieren.