Krefeld Innenstadt-Spaziergang: Wenn Fassaden von jahrhundertalter Geschichte erzählen
Das Krefelder Haus im Wandel: Mit Stadtforscher Georg Opdenberg und den Grünen ging’s beim Stadtspaziergang auf eine Zeitreise.
Krefeld. „Fassaden sind wie ein Buch, an dessen Seiten viele Hausbesitzer mitgeschrieben haben“, so beginnt Georg Opdenberg seine Ausführungen beim Stadtspaziergang der Grünen. Im Detail geht es dabei um die Veränderungen, die das „Krefelder Haus“ zum Ende des 19. Jahrhunderts erfahren hat. Beim Gang durch die westliche Innenstadt mit etwa 40 interessierten Teilnehmern, wird mit Blick auf die Häuserfronten ein Stück Krefelder Geschichte ablesbar. Die Familie des Stadtforschers und Landvermessers Georg Opdenberg, der 40 Jahre bei der Stadt beschäftigt war, ist seit Generationen mit diesem Viertel der Innenstadt verbunden und auch er selbst ist hier aufgewachsen.
Das Krefelder Haus ist seit vielen Jahren ein feststehender Begriff für einen besonderen, für Krefeld charakteristischen Gebäudetypus. Rund 4500 dieser Häuser aus der Gründerzeit, oft drei- oder vierfensterbreit, prägen das Straßenbild der innerstädtischen Wohnquartiere. Meist zwei Zimmer hintereinander von etwa 4,20 Meter im Quadrat haben beide eine eigene Tür zum Flur. Am Ende des Flurs befindet sich ein vier- bis sechsfenstriger Flügelanbau sowie eine Toilette und ein Waschbecken. Die Toilette wurde von allen Bewohnern der Etage genutzt. Eine lange Treppe führt vom Erdgeschoss in die erste Etage. Bewohnt wurden die Häuser damals von sechs bis sieben Wohnparteien. Häufig befanden sich im Erdgeschoss Läden und Werkstätten, später Büros oder Praxen.
Der Ursprung dieses Haustyps hing mit dem raschen Aufschwung der Städte im 19. Jahrhundert zusammen und dem damit verbundenen rasanten Anstieg der Einwohnerzahlen, erzählt der Stadtforscher. Durch viele Zuwanderer aus dem engeren und weiteren Umland stieg die Zahl der Krefelder Bürger von 60 000 im Jahr 1853 auf 160 000 innerhalb von etwa 30 Jahren, so dass der Wohnraum knapp wurde. Vor allem aber ist das Krefelder Haus eng mit dem Aufschwung der Textilindustrie verbunden. Hier ließen sich zunächst vor allem Weber mit ihren Webstühlen nieder.
Die Größe und die Ausrichtungen der Räume boten ideale Bedingungen für die Arbeit an den Webstühlen. Von der Innenstadt nach Westen und Südwesten nahmen die Zahl und die Größe dieser Häuser zu. Nach zwei- kamen immer mehr dreistöckige Häuser hinzu. Mit der industriellen Fertigung verschwanden die mechanischen Webstühle aber alsbald aus diesen Häusern. Von den etwa 35 000 Handwebstühlen blieben nach kurzer Zeit nur noch 5000 übrig. Der Bedarf und das Interesse am Krefelder Haus schwanden.
Der Zweite Weltkrieg hat Lücken in die Reihen der Häuser gerissen und in den 60er Jahren wurde dem Zeitgeist folgend in vielen Häusern der Stuck abgeklopft und die alte Haustür durch eine neue, moderne ersetzt. Erst Anfang der 70er Jahre gab es unter dem Motto „Krefeld soll schöner werden“ ein Umdenken und der Erhalt der alten Strukturen und Fassaden rückte wieder in den Vordergrund. Der Stadtspaziergang war „eine Werbung für den Liebreiz dieser alten Innenstadthäuser“, sagt Heidi Matthias, Fraktionschefin der Grünen, nach der Veranstaltung.
Dazu beigetragen haben die lebendigen und interessanten Ausführungen von Georg Opdenberg, der seine eigene Aussage, „auch wenn man nichts sieht, kann man etwas sehen“, mit Leben erfüllte.