Südbahnhof "Die Klimakrise ist ein Sicherheitsrisiko"
Krefeld · Jürgen Trittin spricht beim Grünen Salon im Südbahnhof über das Thema Flucht und die Verantwortung der Politik.
Ein paar zusätzliche Stuhlreihen mussten noch rasch aufgebaut werden. Den Gast aus Berlin wollten dann am Mittwochabend doch mehr Leute sehen und hören als gedacht. Jürgen Trittin war zu Besuch beim Grünen Salon im Südbahnhof. Der frühere Bundesminister für Umwelt und Naturschutz im Kabinett von Kanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) referierte und diskutierte zusammen mit der Krefelder Integrationsbeauftragten Tagrid Yousef über das bewegende Thema der weltweiten Fluchtbewegungen und die Aufgaben der Politik.
Heute sitzt der 65-jährige Grüne im Auswärtigen Ausschuss und zielte mit seinen Thesen auch immer wieder gegen die deutsche Außenpolitik. „70 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht“, sagte Trittin, „in den nächsten 50 Jahren werden pro Jahr noch sechs Millionen dazukommen. Es ist paradox. Die Fähigkeit der Weltgemeinschaft schwindet, diese Konflikte zu lösen.“ Vor allem der Klimawandel führe an vielen Stellen der Welt zu Krisen und Kriegen. „Die Klimakrise ist ein ernstes Sicherheitsrisiko. Sie verstärkt andere Probleme“, so Jürgen Trittin. Der Sozialwirt aus seinem Wahlkreis Göttingen zeichnete aber auch einen Weg der sozialen Ungleichheit in der Welt nach. Aus der sozialen Schieflage entstünden ökonomische Probleme, Überschuldung und schließlich Wirtschaftskrisen wie in 2009.
Das Handeln der Europäer und der Deutschen in Bezug auf die Brandherde der Welt kanzelte Trittin ab: „Es ist ein Skandal der europäischen Verantwortungslosigkeit.“ Europäer würden Kriegsparteien wie in Libyen unterstützen oder anderswo. „Europa produziert eigene Unsicherheit.“ Der 65-Jährige griff Worte des früheren amerikanischen Präsidenten Barack Obama auf: „Diese Konflikte kennen keine Sieger oder Verlierer. Sie schwelen immer weiter.“ Trittin sprach von „drei revisionistischen Mächten“. Gemeint waren die „Absteiger USA, der Aufsteiger China und die aufgeblasenen Russen.“ Die Europäer müssten ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie müssten handlungsfähig werden, was der Grüne aber ausdrücklich nicht mit dem Einsatz von Waffen gleichsetzte.
Trittin kritisiert Blockadehaltung der Bundesregierung
Immer wieder warf Trittin der Bundesregierung eine Blockadehaltung vor, auch was das Verhalten beim Thema Flüchtlinge angeht. „Deutschland hat sich immer für eine Drittstaatenlösung eingesetzt und hat Veränderungen international blockiert.“ Er forderte, den Geflüchteten legale Zugangsmöglichkeiten nach Deutschland zu geben, damit sie nicht den gefährlichen Weg über das Meer antreten müssten. Den Begriff „Migrant“ in Bezug auf diese Menschen vornehmlich aus Afrika lehnte er ab, er sprach von „Geflüchteten.“ Die Situation im zerstörten Staat Libyen müsse essentiell verbessert werden. „Man kann die Probleme der Welt nicht mit Abschiebung und Abschottung lösen“, sagte er in Richtung der politischen Gegner wie der AfD oder anderer.
Die Leiterin des Krefelder Integrationszentrums, Tagrid Yousef, 1967 in Palästina geboren und 1968 nach Deutschland gekommen, hat selbst eine Einwanderungsgeschichte und sprach über ihre jahrelange Erfahrung mit Migranten und deren Umgang durch den deutschen Staat: „Menschen suchen Schutz, Bildung, Geld oder eine Überlebenschance. Der Klimawandel bringt noch mehr Armut.“ Yousef prägte den Begriff der Inklusion. Eine Gesellschaft, die für alle Menschen zugänglich sei. „Ich wünsche mir mehr Transparenz der Angebote. Wir müssen uns in den Kommunen noch besser abstimmen und auf Zielgruppen ausrichten.“ Integration sei jedoch keine Einbahnstraße. „Es ist ein Geben und Nehmen. Alle müssten die Chancen der gleichen Teilhabe an der Gesellschaft haben.“ Dazu zähle in erster Linie das Erlernen der Sprache, auch für Geflüchtete, die nur geduldet werden. „Es gibt Hochqualifizierte, die keine Arbeit haben, weil sie nicht anerkannt werden.“ Tagrid Yousef regte an, in Entwicklungsländern Bildungssysteme auch mit deutschem Wissen aufzubauen und diese dort zu unterstützen, um mögliche Abwanderungsbewegungen zu vermindern.