Krefeld Krefeld soll auf Bestand setzen
Fabrik-Gespräche in der alten Samtweberei wollen an drei Tagen „Spuren der Zukunft“ legen. Ein ehrgeiziges und aufwendiges Projekt.
Krefeld. Der Wind fegt durch die alte Produktionshalle der Samtweberei an der Lewerentzstraße und wirbelt jede Menge Staub auf. Was für eine Symbolik. Spuren der Zukunft werden hier gesucht. Wie soll Krefeld in 20 oder 30 Jahren aussehen? Welche Zwänge gibt es, welche Chancen bietet die Baustruktur der City, welche Rahmenbedingungen für eine moderne, lebenswerte Innenstadt sind jetzt zu schaffen? Oder am besten schon gestern. Der Start der dreitätigen Fabrikgespräche am Donnerstagabend ist ein gelungener Auftakt zu einem außergewöhnlichen Projekt, das das Stadtmarketing mit großer Akribie vorbereitet hat. Und an diesem ersten Tag, an dem der Staub durch die Shedhalle wirbelt, wird mit dem Thema Baukultur der Grundstein gelegt.
Geladen sind täglich Hochkaräter ihres Fachs. Den intellektuellen Anfang macht am Donnerstag der Schriftsteller Burkhard Spinnen, der in einer fiktiven Geschichte die nahezu krankhafte Liebe seines Protagonisten zur Architektur beschreibt, der schmerzvoll die „Legoisierung“ moderner Baukunst registrieren muss. Botschaft: Das weiße Hightech-Haus ist nicht nur schlimm fürs Auge, sondern macht auch noch einsam. Frage: Was wollen wir?
Spinnen liest mit der Dramaturgie eines Profis und lässt die etwa 150 Zuhörer in der grotesken Forderung nach der renaissance der Rohrpost zurück. Der Vortrag ist heiter, ein kluger Einstieg, aber er gerät ein wenig zu lang. Zeitlich getoppt wird er dann noch von Architekt und Stadtplaner Reiner Nagel, dem Vorstandsvorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur. Aber auch inhaltlich.
Nagel präsentiert in einer guten Stunde sehr viele Zahlen. Wer sich nicht alles merken kann, merkt, dass da einer mit viel Leidenschaft über ein wichtiges Thema spricht und dass Baukultur eine der wichtigsten Komponenten für urbanes Leben in der Zukunft ist. „Heute“, erklärt Nagel, „zeigen Umfragen, dass die meisten Menschen die Merkmale Ästhetik und Gestaltung für besonders relevant halten und technische Innovationen weniger wichtig sind.“
Schon jetzt mache das Bauvolumen zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes aus, drei Mal soviel wie etwa die Autoindustrie. Problematisch sei es mit dem Sinn für Nachhaltigkeit. „Über Zukunft wird in Deutschland nicht so viel nachgedacht“, kritisiert Nagel.
Der Experte plädiert für Bestandspflege und gegen den massenhaften Neubau von Eigenheimen auf der grünen Wiese, also an den Stadträndern. „Wir nennen das den Donut-Effekt. Was nützt ein fetter Rand, wenn innen alles hohl ist?“ Das blute die Ortsmitten aus und dort gebe es in Deutschland genug interessante Bestände, die es sukzessive und klug weiterzuentwickeln gelte, statt sie verkommen zu lassen.
Die alte Samtweberei sei das beste Beispiel dafür. Hier fühlen sich die Bewohner, Besitzer und Quartierentwickler gleichsam verantwortlich für den Kiez. Eine Einschätzung, die das anschließende Podiumsgespräch und die Impulse durch Krefelds Stadtplaner Martin Linne stützen. Es geht auch um Details. Etwa um die die Verschandelung der Innenstädte durch Schaltkästen. „Bei einer frühzeitigen Planung können die Kästen auch in Gebäude integriert oder unter Flur installiert werden“, rät Nagel, Kontakt zu den jeweiligen Versorgungswerken aufzunehmen.
Verbesserungswürdig ist die Programmdisziplin. Ein hochkomplexes Thema über fast vier Stunden zu ziehen, schlaucht. Zumal zum Programm täglich eine Fahrt ins benachbarte Venlo gehört, wo das Gemeinschaftsprojekt „Spuren der Zukunft“ im Museum van Bommel van Dam exponiert ist. Und eine Führung durch das Samtweberviertel, bevor es am Abend in der Spätschicht zum Fabrikgespräch kommt. Schwerpunkt heute: Kreativität.
Mehr Infos unter krefeld.de/spurenderzukunft