Krefelder Stadtgeschichte „Der Fetzer“ sorgt für Angst und Schrecken

Krefeld · Räuberhauptmann Matthias Weber, genannt „der Fetzer“, führte die Crefelder Bande. In Köln wurde er enthauptet.

Die Crefelder Bande verübte zahlreiche Verbrechen. Mathias Weber, genannt „der Fetzer“ (der Ursprung des Namens ist nicht eindeutig geklärt), war einer ihrer Anführer.

Foto: Stadtarchiv Krefeld

Klein, mager und von schwachem Körperbau, kleine schwarze Augen, in denen das Feuer funkelt – und er lächelt gern. „Man glaubte in ihm den unendlichen listigen verschlagenen Spitzbuben sehen zu können“, so beschreibt Johann Nikolaus Becker (1773-1809) einen der meist gesuchten Räuberhauptmänner. Der Jurist und Schriftsteller arbeitet als Friedensrichter im Rhein-Mosel-Departement. Er veröffentlicht 1804 das Buch „Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins“, in dem sich diese Charakteristik wiederfindet und Mathias Weber, genannt „der Fetzer“, gilt. Als Räuberhauptmann führte er die Crefelder Bande bei Überfällen an. Mit nur 25 Jahren wurde er für seine Verbrechen durch die Guillotine in Köln enthauptet.

Räuberbanden verunsichern seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Rheinland von den Niederlanden bis in den Raum von Mainz. Diese Banden darf man sich nicht als romantische Freiheitskämpfer gegen eine Obrigkeit vorstellen – es sind schlichtweg Kriminelle. Die Crefelder Bande gehört zur Großen Niederländer Bande, wie auch die Neusser und Neuwieder Bande.

Mehr als 60 Mitglieder umfasst die Crefelder Bande

Das verwobene Bandensystem bildet keine starre Einheit. Vielmehr wechseln Räuber für Raubzüge und Überfälle zu unterschiedlichen Gruppen, die unter dem Kommando eines Hauptmannes wie Mathias Weber stehen. Die Ortsnamen erhalten sie nach ihren Schlupfwinkeln. Dass sich die Crefelder Bande in dem Bezirk, vor allem wohl im undurchdringlichen Bockumer Busch, überhaupt einnisten konnten, schreibt Becker einem dortigen Landrichter und seiner „sträflichen Launigkeit“ zu. Mit dessen Ablösung wendet sich das Blatt für die Verbrecher. Die Bande löst sich quasi auf, weil es an dem Ort „zu heiß“ wird, und so wechselt der Titel Crefelder, erst in die Neusser und später in die Neuwieder Bande – in der Regel mit denselben Akteuren.

Über 60 Mitglieder im direkten und nahen Umfeld umfasst über die Jahre die Crefelder Bande. Die Räuber rekrutieren sich meist aus dem „Fahrenden Volk,“ Händler und Dienstleister wie Scherenschleifer, die von Stadt zu Stadt ziehen und dabei auch der Landbevölkerung Waren und mehr anbieten. Dabei können sie unauffällig lohnende Ziele ausbaldowern. Zu ihnen kommen immer mehr ehemalige Soldaten dazu, wie der Fetzer.

Mit gerade mal 16 Jahren kämpft er schon in den Niederlanden. In einem Vorposten bei Arnheim schlägt einer seiner Kameraden vor, einen Postwagen auszurauben. Mathias Weber ist sofort dabei. Der Überfall vor den Toren der Stadt gelingt dem Trio. Sie erbeuten einen Koffer, der mehr Reichtum enthält, als sich ihre Fantasie hätte ausmalen können. „900 Dukaten wurde jedem der drei Marodeurs zu Theil“, so Becker. Nach dem Dienst kehrt der Fetzer in die Gegend von Krefeld zurück. In Straelen trifft er dann auf Mitglieder der Krefelder Bande. Diese planen gerade die Kirche in Arcen auszurauben. Der Fetzer bietet sich als Führer durch die Sümpfe an, hält Wort und sie dringen in die Sakristei ein, doch die Schätze sind gut verschlossen und so ziehen sie mit geringer Beute davon. „Von dieser Epoche an verließ der Fetzer seine Kameraden nicht mehr und beging mit ihnen einen Raub nach dem anderen“, berichtet Becker.

Duisburg, Odenkirchen, Venlo, Kettwig, Straelen, Düsseldorf, im Bergischen: Die Crefelder Bande sorgt im weiten Umfeld für Angst und Schrecken. Und die Liste verlängert sich stetig. So rauben sie auf der Straße bei Grimmlinghausen bei Neuss Waren, die den Von der Leyens in Krefeld gehören. Bei einem versuchten Diebstahl in das Zollhaus in Uerdingen gehen Fetzer und ein Kamerad jedoch leer aus, sie finden kein Geld. Ein beliebtes Ziel bleiben Kirchen.

Schon in der „ersten Generation“ der Krefelder Bande erweist sich der Branntwein-Trick als erfolgreiches Mittel, um sich den Zugang zu Häusern zu verschaffen. „Sie bestand darin, dass man bey Nachtszeit an die Türen pochte, und einen Schluck Branntwein begehrte, sobald diese aber aufgethan wurde, eindrang und plünderte“, so Becker. Während in der Stadt eventuell noch Nachtwachen Streife gehen, sind auf dem flachen Land die Menschen der Bande ausgeliefert. Unweit von Krefeld überfällt sie einen Wirt, wieder mit dem Branntweintrick. Sie raubt Geld, Silberwerk und Leinwand.

Immer wieder werden Mitglieder geschnappt und eingesperrt. Den Inhaftierten gelingt es sehr oft, aus ihren Gefängnissen zu entkommen. Becker spricht von hunderten bekannter Fälle. Dieses „Glück“ hat mehrfach auch der Fetzer, wie in Neuss, wo er mit Kameraden in einer Windmühle festsitzt. Über die Decke ihrer Zelle beginnen sie ihre Flucht, die sie zur Spitze des Gebäudes führt. „Aber wie sollte man von der schwindelnden Höhe die schauderhafte Tiefe erreichen“, berichtet er in seinem Verhör. Seine Aussage wird übrigens durch ein angefertigtes Protokoll in Neuss bestätigt. „Mir kam der Gedanke, mich an den Tüchern, die auf den Windflügeln ausgespannt waren, zu bedienen, und so mich so mit meinen Gefährten herabzulassen. Gedacht und ausgeführt“, berichtet der Fetzer.

Die Zeit der Crefelder Bande endet um 1797, die Räuber verlagern ihren Stützpunkt nach Neuss und später nach Neuwied. Obgleich die meisten Akteure wie der Fetzer aktiv blieben. Schließlich erwischen sie ihn 1803 in Bergen bei Frankfurt am Main. Von dort wird er nach Köln überstellt. Alle Fluchtversuche blieben diesmal ohne Erfolg. Als sein Prozess am 17. Februar 1803 eröffnet wird, strömt das Volk zum Gericht, um den berüchtigten Räuber zu sehen. „Offenherzig und unverhohlen erzählte er das Hauptsächliche von seinen Räubereien.“ Angesichts des sicheren Ausganges des Prozesses nennt er alle Beteiligten, auch die noch frei sind. „Ich bin zufrieden“, sagt er bei der Urteilsverkündung. Seine letzten Tage verbringt er ruhig; dass sein Leben abgedruckt werden sollte, erfreut ihn – einige Seiten werden ihm vom Beichtvater noch vorgelesen, wobei er öfter zustimmend nickt.

Kurz vor seiner Hinrichtung gibt der Fetzer noch zu Protokoll: „Mein Ruhm erschwoll immer mehr und mehr; allein dieses zog auch meinen Untergang nach sich.“ An bis zu 190 Diebstählen und Rauben beteiligt er sich bis zur Hinrichtung. In dieser Zeit ermordet er auch seine Frau, was er stets verneint hat. Auf einem Karren wird er zum Richtplatz auf dem Altermarkt gebracht – frohen Gemüts und nicht verzweifelt. Mit einem Satz springt er aufs Schafott. Der Fetzer ist der Letzte, der unter der Guillotine in Köln hingerichtet wird. Während der französischen Besatzungszeit werden von 1801 bis 1808 alle größeren Banden am operierenden Niederrhein zerschlagen und ihre Mitglieder verurteilt. Becker beziffert die Zahl der Räuber entlang des Rheins auf rund 200, von denen beim Erscheinen des Buches noch 124 in Freiheit leben, die anderen wurden hingerichtet, verhaftet oder auf Galeeren verbannt. Red.