Kolumne: Krefelder Frühstück Warum Krefeld stolz auf seine Straßenbahn sein kann

Die rot-weißen Straßenbahnen gehören zum Erscheinungsbild der Stadt Krefeld. Darauf können die Bürger stolz sein, meint unser Autor.

Noch eben in den Kiosk und dann schnell in die 044 huschen. Wer, wie hier am Moritzplatz, Straßenbahn fährt, erlebt die Szenen einer Stadt.

Foto: Ja/Jochmann, Dirk (dj)

Guten Morgen,

ein neues Jahrzehnt hat begonnen. Da ist eines sicher: Es ist Zeit für die großen Fragen. Was meinen Sie, was wird das Leben in Krefeld in den nächsten Jahren prägen? Ich tippe auf den Klimaschutz und damit einen Stadtverkehr, der sich ändert. Spätestens das Mobilitätskonzept, das die Politik 2019 beschlossen hat, zeigt: Da wird sich einiges tun. Statt des Autos werden Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) oder das Rad wichtiger.

Und wer weiß, was noch kommt. In diesem Jahr droht die Invasion der E-Roller. Sie wissen, diese kleinen elektrischen Tretgeschosse, die so eine beachtliche Karriere hingelegt haben. Als sie in Deutschland aufkamen, waren im Internet Symbolfotos von fröhlichen Business-Typen zu sehen. Die bretterten auf den Rollern durch amerikanische Straßenschluchten oder an irgendwelchen Promenaden mit Palmen vorbei. Wie so oft brachte die Realität in den ersten Städten die Enttäuschung. Die Dinger sind im Dunkeln kaum zu sehen, zu schnell für den Bürgersteig und zu langsam für die Straße. Kurz um: Nach dem ersten Hype sammeln sich die E-Roller im Grünstreifen.

Nun schalten wir den E-Scooter aber mal aus. Denn mein Plädoyer gilt einem Fortbewegungsmittel, das manche wohl etwas antiquiert finden: Es geht um die Straßenbahn. Dieser Klassiker aus dem Fuhrpark der Stadtwerke Krefeld (SWK) ist mein Favorit. Da können sich die SWK noch so sehr bemühen, mit elektrischen Mopeds oder dem Taxidienst mit dem SWCoolen Namen „SWCar“ neue Angebote zu schaffen. Die Straßenbahn ist durch nichts zu toppen und sollte bei der Stärkung des ÖPNV freilich eine entscheidende Rolle spielen.

Um die Begeisterung zu verstehen, sollten Sie mir zum Hauptbahnhof folgen. Woran erkennen Sie unsere Stadt? Sie sehen, wie die Linien 041 bis 044 vorbeirumpeln.  Hören, wie die rot-weißen Wagen klappern. So etwas prägt das Bild einer Stadt. Gerade Sie, die Krefelderinnen und Krefelder, können stolz darauf sein. Viele Städte in vergleichbarer Größe haben so etwas nicht. Da steht nur der Gelenkbus im Stau. Bei uns bringt die Straßenbahn das Antlitz einer Metropole.

Wenn Sie Straßenbahn fahren, sind Sie mitten im Leben. Sie sehen, was in der Stadt passiert. Vom Sitzplatz aus sind die Menschen auf dem Gehweg und die Geschäfte kaum fünf Schritte entfernt. Die Bahnen halten an der Dreikönigenstraße so, dass die Autos stoppen müssen. Die Fahrgäste huschen über die Fahrbahn und sind gleich bei Läden oder Wohnungen, eben dort, wo etwas los ist. Alleine die wenigen Meter über die Fahrbahn sind toll. Dort darf normalerweise kein Fußgänger hin, doch die Straßenbahn macht ihn für einen Moment zum König des Verkehrs. Jeder Sportwagen, jeder SUV ist für einen Moment ausgebremst.

Und es gibt mehr schöne Augenblicke. Am Moritzplatz können Sie noch in den gläsernen Kiosk eilen, bis die Bahn kommt. Am Inrath stehen Sie nachmittags mit den Arbeitern in den dicken Pullovern. Von Weitem sehen Sie, wie sich die Bahn aus Richtung Hüls über die lange Straße schiebt. An der Rheinstraße können Sie sich freuen, dass Sie nicht mit der 76 nach Düsseldorf müssen. Die Straßenbahn ist enger mit den Szenen einer Stadt verbunden als irgendeine andere Form des ÖPNV.

Wenn Sie in der Straßenbahn sitzen, brauchen Sie kein Buch und keine Kopfhörer. Bleiben Sie nur lang genug in einer Linie und Sie erleben die Facetten des Lebens. Einmal mit der 041 von Fischeln bis St. Tönis und Sie haben sechs abgeschriebene Hausaufgaben, drei Hip-Hop-Einlagen und eine Scheidung gesehen – zumindest gefühlt. In jedem Fall bietet die Straßenbahn vor und hinter der Fensterscheibe eine ereignisreiche Zeit.

Deshalb ist das Tram-Konzept für Krefeld so fantastisch. Keine U-Bahn unter der Straße kann dieses Lebensgefühl bieten. Wie furchtbar sind in vielen Städten die U-Bahnhöfe mit ihrem kalten Licht. Der emotionale Höhepunkt ist ein Fahrkartenautomat, der fünf Sprachen und 37 Tarifstufen kennt. Es zieht – und im schlimmsten Fall hat noch ein U-Bahn-Planer versucht, den U-Bahnhof mit U-Bahn-Kunst aufzuwerten. In der Regel hängen dort dann Mosaike oder Skizzen an der Wand, die es nicht mal auf den Flur einer Behörde geschafft haben.

Also doch die Straßenbahn. Klar, die steckt mal im Stau, quält sich über Kreuzungen und auf elf von zehn Fahrten ist es viel zu eng. Aber darüber wollen wir nicht meckern, sonst werden wir noch Klischee-Krefelder. Andere Städte haben die Straßenbahn zur Attraktion gemacht. In Lissabon muss jeder Tourist mal in die Linie 28 gehüpft sein.

Falls Sie sich nun sorgen, dass mir die Feiertage etwas zu Kopf gestiegen sind: keine Panik. Mir ist klar, dass nicht die halbe Welt darauf wartet, mal vom Edelstahlwerk Tor 3 bis zum Elfrather See zu fahren. Es geht hier um eine grundsätzliche Einstellung. Wer so eine Linie mal vom Anfang bis zum Ende fährt, lässt sich auf die Stadt ein. Der sieht, was es hier alles gibt. Vom Stahlwerk, vorbei am noblen Autohaus, den grauen Häusern an der Gladbacher Straße, der Grotenburg, dem schönen Bockum bis zu Krefelds See für Wassersportler. Und das ist nur die 042.