Am Bass sitzt der Boss
Motif spielen im Theater Jazz mit 30-Jahre-Bart.
Krefeld. Charles Mingus lebt. Doch, doch. Er ist gar nicht 1979 gestorben, sondern hat sich in eine Superklinik nach Norwegen verfrachten lassen. Dort hat man ihm nicht nur zu bester Gesundheit verholfen, man hat ihn gleich noch in einen Jungbrunnen geworfen.
Mingus nennt sich jetzt, um keine Verwirrung zu stiften, Ole Morton Vagan und befehligt im besten Mingus-Stil eine Band. Sie heißt Motif und gastierte am Montagabend auf Einladung des Jazzklubs im Stadttheater.
Motif hat eine klassische akustische Quintett-Besetzung: Klavier, Kontrabass, Schlagzeug, davor Saxofon und Trompete. Vagan steht zentral, macht die Ansagen. Das klingt, wenn er sich selbst vorstellt, so: "I play the bass and write the music." Übersetzt: Ich spiele den Bass und schreibe die Musik. Bescheiden ist er eben nicht, auch nicht musikalisch.
Vagan - nicht der Schlagzeuger - diktiert den Groove, wozu er auch schon mal auf die Saiten schlägt, statt sie zu zupfen. Hako Mjaset Johansen darf das auf seinen Becken und Trommeln umtupfen, umspielen, nicht mehr.
Auch der Rest muss sich unterordnen, wenn Vagan in Themen und Improvisationen Ritardandi und Accelerandi einbaut und damit die Solisten an die Kandare nimmt. Atle Nymo (Tenorsaxofon, Bassklarinette) und Eivind Lonning, kurzfristig für Mathias Eick an der Trompete eingesprungen, sind sehr gute Instrumentalisten, aber nicht so überragend, dass sie dem musikalischen Konzept ihres Bassisten Glanzlichter aufsetzen können. Nur Haavard Wilk am Flügel erlaubt sich kleine Ausflüge. Manchmal klingt er wie der junge Keith Jarrett, wenn der von neoromantischen in freiere Gefilde aufbrach.
Der Rest bei Motif ist Neo-Bop à la Mingus. Den collagiert wirkenden Themen folgen meist modale, wenn nicht gänzlich freie Improvisationen, in denen das "normale" Spiel das geräuschhafte gerade eben überwiegt.
Das Krefelder Publikum, wie immer sachkundig und geduldig, lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Dass die Freiheit, in der Motif sich austobt, stilistisch einen über 30 Jahre alten Bart hat - Schuft, der Böses dabei denkt. Oder eben gleich an Mingus.