Schauspiel in Krefeld Treffen sich zwei Endspiele
Krefeld · Becketts „Endspiel“ kurz vor dem Lockdown – mehr Ende geht nicht. Und wie war nun die Premiere am Theater Krefeld?
Am Sonntag feierte Samuel Becketts „Endspiel“ am Theater Krefeld Premiere. Das allein ist im Kontext unserer Zeit schon eine derart kraftvolle Nachricht, dass man mit Bedacht auf Kürze, in der ja gerne die Würze läge, hiermit alles gesagt hätte, was zu sagen ist, um schweigend in den Lockdown zu gehen. Doch so radikal sein wollen wir nicht, vor allem aus Respekt vor Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die hier gewiss jetzt eine Premierenbesprechung erwarten, die wir wunschgemäß auch liefern wollen.
Dennoch, es sind schon herausragende Umstände, die hier aufeinandertreffen und sich schlicht in einem Satz zusammenfassen lassen – dazu muss man aber wissen, um was es bei Becketts Einakter geht. Es ist ein klaustrophobisches Stück um vier Figuren, die in einer apokalyptischen Endzeitwelt ihres Schicksals harren und dabei ganz sonderbare Dinge sagen und tun, sodass wir als Publikum zwischen Weinen und Lachen hin- und hergerissen werden. Das mit viel mehr philosophischem Tiefgang als vermutbar und mit viel weniger theatralischem Tam-Tam als man eventuell denken würde.
Die Umstände, die sich darin kulminieren, dass das Stück just jetzt so wie es war unter der Regie von Matthias Gehrt am Gemeinschaftstheater aufgeführt wurde sind: Erstens der Umstand, dass man es aufgeführt hat. Und dies kurz vor dem Lockdown, also dass überhaupt noch eine Premiere durchgezogen wurde. Zweitens der Umstand, dass quasi fast zufällig just vor dem Lockdown eben dieses Endzeitstück von Beckett gezeigt wurde. Drittens, dass gerade bei diesem Stück alle Macher am Theater bewiesen, dass auch unter den sehr komplexen und strengen Corona-bedingungen und Regeln Theater möglich ist, das nicht nach Einschränkungen aussieht sondern perfekt so wie es ist zeitlos und dennoch sehr zeitlich-reflexiv funktioniert. Viertens, dass es gelang, nicht billig auf die Corona-Lage zu „reagieren“, Becketts Meisterwerk gerecht zu werden. Es treffen mindestens zwei Endspiele aufeinander. Das geht auch unter Kontaktbeschränkungen.
Ensemble-Neuling Christoph Hohmann brilliert als Hamm
Doch „Endspiel“ mit den Figuren Hamm, dessen Diener und Ziehsohn Clov – vergleichbar dem ersten Akt aus Siegfried mit Mime und Siegfried –, Nagg und Nell, Hamms Eltern ist auch jenseits dieser besonderen Umstände ein sehr stark in Erinnerung bleibender Abend geblieben. Den blinden, gelähmten „Chef“ der Weltuntergangsgemeinschaft Hamm spielt, neu im Ensemble, ein brillierender Christoph Hohmann. Ein Gewinn für das Haus. Angeleitet durch die auf Überzeichnung, aber mit wahrhaftigen stillen Akzenten auch auf Ruhepole setzende Regie, gelingt dem Schauspieler ein Meisterstück. Der ambivalente Hamm als jovial vor sich hin leidender und dennoch großkotziger Alt-Hippie oder vielleicht eine ehemalige Rotlichtgröße. Man ist erstaunt angesichts der Mühelosigkeit, mit der Subtexte mitschwingen und überrascht, wie dieser Ansatz funktionieren kann.
David Kösters als Clov, auch neu im Ensemble, darf die große Kunst der Beiläufigkeit üben, eine Sache, die man erst einmal so in Szene setzen muss. Und dennoch spürt man immer wieder einen Kern, mit dem Kösters es schafft, die Figur galant zwischen Tiefgang und Slapstick schwankend auf eine Fallhöhe zu heben. Aber auch hier funktioniert es erstaunlicherweise gut, obwohl wir nicht eine wirklich offenkundig tragische Figur vor uns sehen.
Die gut agierenden, in Mülltonnen sitzenden Invaliden Eltern von Hamm – eine der zündendsten Einfälle Becketts – verkommen in Gehrts Regie ein wenig zu Klischees. Aber sollen sie nicht genau das sein? Henning Kallweit (Nagg) und Katharina Kurschat als Nell, ein großes Lob an die Maske, spielen das, was sie sollen, überzeugend. Mit noch einem Hauch Potenzial, etwas mehr Ambivalenz in die Figuren zu bringen, hätte man aber gewiss noch mehr aus beiden herauslocken können. Das gilt auch für die Kostüme von Petra Wilke, die niemandem wehtun und das herrlich unherrlich undoppeldeutige Bühnenbild von Gabriele Trinczek. Eine hohe Wand mit zwei Löchern – es sind keine wirklichen Fenster –, wie man es häufiger als Hintergrund bei Burgprinzessinnen-Festspielen sieht. Aber all das funktioniert dann schlussendlich doch derart gut, dass man dafür dankt, einen unverfälschten Beckett serviert zu bekommen. Und nicht vergessen: Treffen sich zwei Endspiele – und warten nicht auf Godot, sondern das Ende. Das Ende vom Lockdown.