Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt

Dirigieren, koordinieren und organisieren: Die Aufgaben des Generalmusikdirektors Mihkel Kütson sind vielfältig. Er erklärt, was es noch zu beachten gibt.

Foto: Andreas Bischof

„Was braucht ein Dirigent für seinen Job?“ — Den ersten Teil der Antwort von Mihkel Kütson, Generalmusikdirektor (GMD) des Musiktheaters und der Niederrheinischen Sinfoniker, kann man erahnen: „Er muss Liebe zur Musik mitbringen und den Willen, sich tief mit ihr zu beschäftigen. Es muss ihm ein Bedürfnis sein, Musik mit anderen zu teilen.“ Doch der zweite Teil seiner Antwort überrascht dagegen. „Er muss den Mut haben, sich vor 80 Leute zu stellen und seine Erwartungen durchzusetzen. Auch bei alten Hasen im Orchester.“

Ein Dirigent brauche Fingerspitzengefühl für den Umgang mit seinen Musikern, sagt er. „Psychologie im Orchester und Gruppendynamik sind ein großer Teil der Arbeit. Aber das wird an der Hochschule nicht gelernt“. Er erinnert sich an seine ersten Schritte als Dirigent an der Hochschule, wo er mit zwei Klavierspielern übte, Musiker zu leiten und seine Interpretationen herauszuholen.

Nach dem Studium wurde er mit 27 Jahren bereits zum GMD nach Tartu, der zweitgrößten Stadt seines Heimatlandes Estland, berufen. „Ist das von der Reife und Autorität möglich?“, fragte sich der junge Dirigent. Es ging gut. „Der Dirigent hat einen Vertrauensvorschuss, und das ist auch nötig als Ersatz für Autorität. Es gab dort ein sehr junges Ensemble und es war kein Haus, wo ich den Chef herausgehängt habe.“

Die Hohe Schule des Dirigierens scheint das Dirigat bei Opern zu sein. Dabei „kämpft“ ein Dirigent an zwei Fronten. Zum einen soll er klar verständlich für alle im Orchestergraben sein und genauso für die Akteure auf der Bühne. „Die Sängerinnen und Sänger rennen auf der Bühne herum und haben keine Zeit, zum Dirigenten zu gucken. Außerdem hört man das Orchester auf der Bühne sehr schlecht.“ Seine Lösung: „Ich singe die Partien innerlich mit, und man sollte spüren, was bald passiert.“ Eine besondere Arbeitssituation ist der Graben schon. Denn schließlich bewegen sich da „80 Menschen auf 50 Quadratmetern“. Seine Hauptarbeit sind die Proben — „nicht der Abend im Frack.“

Mihkel Kütson

Das heißt immer wieder korrigieren, herausfinden, wer spielt falsch, wer hat ein falsch gestimmtes Instrument? Da kann dann auch schon mal das Fingerspitzengefühl gefordert sein, wenn ein Orchestermitglied meint, dass der Chef immer nur an ihm etwas zu kritisieren habe. Doch Kütson kann seine Niederrheinischen Sinfoniker nur loben: „Alle haben Hochschulausbildung, das beschleunigt die Proben.“ Im Orchestergraben hat er sogar mit EU-Verordnungen zu kämpfen. Die Dezibelwerte sind auch für Orchester festgelegt und „die Geigen sind immer darüber. Zum Glück gilt das über den Tag verteilt und nicht allein für die Aufführung im Graben.“

Da kann er auch einige zeitgenössische Werke mit großen Schlagzeugbesetzungen nicht ins Programm nehmen, weil dann die Lautstärke im Orchestergraben zu hoch wäre. Für die Konzertbühne gilt das nicht, wie schon eindrucksvoll im Seidenweberhaus zu hören war. Zu den alltäglichen Arbeiten eines GMD gehört es aber nicht nur, den Dirigentenstabs zu schwingen.

Vielseitiges Organisieren wird auch verlangt. Im engsten Kontakt mit dem Orchestergeschäftsführer werden Absprachen zur Probenplanung, zu Dienstplänen und Ruhezeiten getroffen. Es gilt beispielsweise auch zu klären, welche Verlage die Noten verleihen. Die Planungen des Programms der Saison mit den verschiedenen Konzertreihen, den Aufführungen des Musiktheaters sowie anderer Veranstaltungen liegen in seiner Verantwortung.

Dabei ist es nötig, die Aktivitäten der Berufskollegen ebenso im Blick zu haben: „Man muss sich mit seinem Programm von den umliegenden Städten unterscheiden, seine eigene Handschrift deutlich machen.“