Interview mit Theater-Chef Jens Pesel: "Wir erleiden Schiffbruch"
Das Theater ist wieder handlungsfähig, ist sich der Fußangeln aber bewusst, sagt Jens Pesel der WZ.
Herr Pesel, vier Monate harter Debatten um die Zukunft des Theaters liegen hinter Ihnen. Sind Sie erleichtert, dass es vorbei ist, oder enttäuscht, weil sie zu wenig Geld zur Verfügung haben?
Jens Pesel: So ganz befriedigend ist das für uns nicht ausgegangen. Wir sind lange in eine schreckliche Zeitfalle getrieben worden, in eine Sackgasse ohne Ausweg, Am Ende haben wir einen Pyrrhussieg errungen. Das Theater ist wieder handlungsfähig, ist sich der Fußangeln aber bewusst.
Welche sind das?
Pesel: Die strukturelle Unterfinanzierung des Theaters bleibt ungeklärt. Unser Haushalt geht zwar buchhalterisch auf, aber in der Realität werden wir damit Schiffbruch erleiden. Wir werden ein Defizit erwirtschaften - jedenfalls ist das Risiko außerordentlich hoch. Die Einnahmeerwartung ist illusorisch, die können wir kaum erfüllen. Ich hoffe, dass die Politik, die das Defizit sehenden Auges beschlossen hat, uns bei Rechnungslegung nicht den schwarzen Peter zuschiebt.
Wie bewerten Sie die politische Debatte im Nachhinein?
Pesel: Seit Ende Oktober haben sich einige Fraktionen darin geübt, sich selbst auf den Daumen zu hauen. Ein Ratatouille von Zahlen und vermeintlichen Fakten wurde aufgetischt. Am Ende schwamm dann eine Entscheidung oben, aber leider als Wasserleiche. Die Frage ist, ob Einsicht dahinter stand oder das Einlenken angesichts der Kommunalwahl und des öffentlichen Widerstands opportun schien.
Wie schwer fällt es, jetzt einfach zum Alltag überzugehen?
Pesel: Das wird nicht ohne Weiteres gelingen. Die Bemerkungen mancher Politiker in den vergangenen Monaten waren krachledern und schlecht durchlüftet. Sie waren despektierlich, zum Teil demagogisch. Es wurden Tatsachen verdreht, Fakten nicht zur Kenntnis genommen. Mancher hat Attacken gegen die guten Sitten geritten, persönliche Unterstellungen vom Stapel gelassen. Das hat mir weh getan. Es hat emotionale Kollateralschäden verursacht, und nicht jede Wunde lässt sich einfach so mit einem Heftpflaster verschließen.
Das klingt, als seien Sie ein bisschen nachtragend.
Pesel: Ich will nicht nachkarten. Aber man muss bestimmte Prozesse und Verhaltensweisen reflektieren und sich eingestehen, was einen wurmt und was man mit sich herumschleppt. Ich finde es schade, dass man sich nicht in den Haaren liegen kann, ohne sie sich gegenseitig auszureißen.
Im Ergebnis sollen Sie nun bei Marketing und EDV sparen. Welche Folgen wird das haben?
Pesel: Die Einsparungen im Marketing und bei der EDV können das Theater teuer zu stehen kommen. Mit weniger Werbung geht man das Risiko ein, weniger Karten zu verkaufen. Und ohne Investition in die EDV erschließt man keine Einsparpotenziale.
Wo wird das Publikum den geringeren Werbe-Etat merken?
Pesel: Wir reden gerade darüber, worauf wir verzichten müssen. Allerdings ist zum Beispiel das Spielzeitheft für die kommende Spielzeit schon in dieser etatisiert. Aber mein Nachfolger Michael Grosse wird nicht die Werbemittel haben, die er braucht.
Das Actori-Gutachten zum Theater empfiehlt das genaue Gegenteil: Investieren bei Werbung und EDV. Was halten Sie insgesamt von dem Gutachten?
Pesel: Das Gutachten ist auf sehr professionelle, sorgfältige Weise zustande gekommen. Die Analyse ist sehr klar und angemessen komplex. Actori betont immer, wie sich alles ineinander fügt. Das Theater ist ein Mikrokosmos, und jede Veränderung hat an vielen Stellen Auswirkungen.
Das Gutachten sagt klar: Wer das Niveau halten will, muss mehr Geld investieren. Ist diese Botschaft angekommen?
Pesel: Sie ist mit Schrecken vernommen worden. Ob daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass die Fraktionen es ernst meinen, wenn sie betonen, dass sie die Qualität halten wollen.
Was würde es für das Theater bedeuten, wenn der Etat eingefroren wird und somit das Szenario 4 in Kraft tritt - mit Spartenschließungen und Stellenabbau?
Pesel: Das Theater würde sein Profil einbüßen und seine Seele verlieren. Davon bin ich überzeugt. Denn gerade das Ineinandergreifen der Sparten macht den Reiz dieses Theaters aus.
Was ist mit den anderen Sparvorschlägen von Actori? Würden sie dem Theater ebenfalls weh tun?
Pesel: Ich halte die Vorschläge der Szenarien 1 bis 3 für vernünftig und realisierbar, ohne dass das Haus großen Schaden leidet. Besonders wichtig ist, dass wir endlich Aufgaben der städtischen Verwaltung selbst übernehmen dürfen. Dann haben wir mehr Kräfte frei, uns mit den eigentlichen Aufgaben zu beschäftigen.
Im Moment arbeiten Sie mit Hochdruck am Spielplan für 2009/10. Kommt eine Art Spar-Spielzeit auf das Publikum zu?
Pesel: Ich denke nicht. Wir werden zwar nicht so viele Neuproduktionen haben wie in den vergangenen Jahren, aber das gleicht sich aus. Durch die zwei Spielstätten im TaZ haben wir ungewöhnlich viel produziert, von dem wir nun zehren können. Das haben wir in Reserve. Aufwändige musikalische Neuproduktionen wie "Swinging St. Pauli" wird der Gäste-Etat aber nicht zulassen.
Haben Sie durch die Verzögerung viele Gäste nicht mehr bekommen, die sie gern gehabt hätten?
Pesel: Ja, das ist so. Einige bekommen nicht mehr zu dem Zeitpunkt, zu dem wir sie gerne hätten. Und einzelne Positionen sind tatsächlich noch nicht besetzt. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir Ende März einen sehr abwechslungsreichen Spielplan präsentieren können.
Wird es im Ensemble neben dem Weggang von Stefan Diekmann und Hans-Jürgen Schöpflin weiteren Aderlass geben?
Pesel: Kerstin Brix wird uns ebenfalls verlassen. Auch hinter der Bühne gibt es Veränderungen.
Werden für Michael Grosse Stücke zum Übertragen übrig bleiben?
Pesel: Er wird ausreichend Stücke übertragen können, mindestens drei musikalische Produktionen, zwei Schauspiele und ein Ballett.
Sie haben einen sehr engen Draht zu Herrn Grosse aufgebaut. Hatten Sie im Verlauf der Debatte mal das Gefühl, er könne die Brocken vielleicht hinschmeißen?
Pesel: Nein, das hatte ich nie.
Hätten Sie an seiner Stelle dieses Gefühl gehabt?
Pesel: Ich glaube ja. Ich bin da wohl etwas dünnhäutiger. Michael Grosse hat bereits in Altenburg/Gera Erfahrungen mit extremen Einsparungen gemacht. Er scheint mir sehr robust und erfahren im Umgang mit solchen Situationen zu sein. Er neigt nicht zum Resignieren.
Was wünschen Sie ihm hier?
Pesel: Ich wünsche ihm die Unterstützung des Publikums, die ich genossen habe, und aufgeschlossene, aufmerksame politische Gremien. Und ich wünsche ihm, dass Kunst und Kultur hier nicht nur in Verlautbarungen eine Rolle spielen, sondern wirklich einen Stellenwert haben.